Sie halten das komplett neu gestaltete CINEMA in den Händen. Bereits 55 Jahre existiert das Jahrbuch CINEMA und hat in dieser Zeit viele inhaltliche Veränderungen erlebt, ist der intensiven Beschäftigung mit dem Medium Film aber stets treu geblieben. «Das Buch in schwarz», wie es wegen dem schwarzen Umschlag auch genannt wird, erscheint seit 1983 in Form eines Jahrbuchs; es ist erstaunlich, dass sich das Layout in dieser langen Zeit kaum änderte: höchste Zeit für ein neues, zeitgemässes Kleid. Der Vorschlag der Zürcher Grafikdesignerin Susanne Kreuzer begeisterte auf Anhieb: Mit viel Umsicht und Engagement hat sie einen prägnanten, selbstbewussten und übersichtlichen visuellen Auftritt entwickelt, der stets auch den Inhalt mitdenkt. Somit präsentiert sich CINEMA noch stärker als aktuelle und attraktive Plattform für das Schweizer und das internationale Filmschaffen – in der aktuellen Ausgabe zum Thema Politik. Ob Politthriller oder Politsatire, ob subtile politische Botschaft im Science Fiction oder propagandistischer Pathos im Biopic, ob fiktional oder dokumentarisch – das Politische ist und war im Film schon immer gegenwärtig. Doch was heisst politisch? Die Auffassungen sind so unterschiedlich wie individuell, das Verständnis so vielschichtig wie die Bereiche, in die das Politische hineinspielt. Entsprechend breit ist der Themenfächer der hier vorliegenden Aufsätze: TV-Produktionen als Verarbeitungsangebot des Nationalsozialismus in Deutschland oder als identitätsstiftendes Mittel nach der Diktatur in Spanien, Zensur und Propaganda im Dienste nationaler Interessen, Ironie und Trash als Überlebensstrategien gegen Repression und Unterdrückung. Ein neueres Phänomen sind Stars wie Angelina Jolie oder George Clooney, die sich als Weltverbesserer profilieren wollen. Was ist ein politischer Film? Diese Frage wurde schon oft gestellt, und es ist auch notwendig, sie immer wieder zu stellen. Jeder hat andere Vorstellungen, verbindet eigene Wertmassstäbe damit. Zudem sind Auffassungen zeitabhängig, man versteht heute unter dem Begriff etwas anderes als 1980, und verändern sich durch die persönliche Erfahrung. Hierzulande sind Debatten über den politischen Film und die Filmpolitik so alt wie der Neue Schweizer Film. Doch warum entstehen heute kaum politische Filme? Störend scheint da die schweizerische Saturiertheit zu wirken. So fehlt es an politischer Reibung und Daseinsnöten, weshalb die Aufmüpfigkeit der Helden im Überdruss zu ersticken droht. Vielleicht liegt es aber an den politischen Rahmenbedingungen, die zwar (fast) alles erlauben, aber dennoch nur Banales fördern. Während im Schweizer Filmschaffen das Motto «No Politics, please. We’re Swiss» vorzuherrschen scheint, ortet man politisch motiviertes Filmschaffen in Randzonen, prekären Verhältnissen und bei Minoritäten. Dort steht der politische Film für Engagement, Humanismus und Radikalität. Indem sie erzählen, wie das Leben in China, Thailand oder Brasilien ist, kritisieren die Filmemacher die Regimes, die wiederum mit Repression, Berufsverbot und Zensur darauf antworten. Welche Filme entstehen unter solch restriktiven Bedingungen? Welche Sprachen werden erfunden, um zu zeigen, was nicht gesagt werden darf? Die Strategien dafür sind sehr unterschiedlich: In Brasilien beispielsweise parodierten die einheimischen Filmemacher die grossen Blockbuster der US-Filmindustrie, die den Markt dominierten. Sie machten sich lustig und profitieren zugleich von ihnen. Im Westen begeistern diese Filme, und Regisseure wie Apichatpong Weerasethakul aus Thailand werden an den renommierten Festivals gefeiert. Besonders erfolgreich ist auch das aktuelle israelische Kino. Zum einen hält der andauernde Konflikt das Interesse hoch, zum andern reagieren die Filmemacher mit kritischen, ästhetisch anspruchsvollen Arbeiten auf die innenpolitischen und sozialen Spannungen – was ausserhalb Israels gefällt. Doch es gilt auch diese Begeisterung zu hinterfragen, die oftmals quer zur Rezeption im Entstehungsland steht: Inwiefern dienen diese Filme als Projektionsflächen für alternative Ideologien und entsprechen vor allem unseren Erwartungen? Dezidiert gegen jegliche politische Vereinnahmung stellt sich das Werk von Bruce LaBruce, vielmehr entlarvt er die Verlogenheit politischer Haltungen: Pornografie als politisches Statement. Nicht selten wirken Filme oder einzelne Szenen als Initiatoren für ein politisches Bewusstsein. In Miniaturen beschreiben Regisseure und Regisseurinnen ihre persönliche Schlüsselszene, dessen politische Aussage sie beeindruckt und ihre Arbeit beeinflusst hat. Fantoche, das Festival des Animationsfilms, mausert sich immer mehr zu einem sicheren Wert im Schweizer Festival-Kalender. Im «CH-Fenster» wird die bewegte Geschichte beschrieben. Passend dazu stellt Claudius Gentinetta seinen neuen Animations-Kurzfilm vor. Deep offenbart die politische Dimension des Schnarchens. Einmal einer Schnittassistentin bei der Arbeit über die Schultern sehen: Der «Filmbrief» erzählt von den aufreibenden Arbeitsbedingungen in Hollywood, während die «Sélection CINEMA» wie immer – und dank dem neuen Layout mit mehr Präsenz – einen ausführlichen Überblick über das Schweizer Filmschaffen des vergangenen Jahres bietet. Für die Redaktion Anita Gertiser
CINEMA #55
POLITIK
EDITORIAL
ESSAY
MOMENTAUFNAHME
CH-FENSTER
FILMBRIEF
SELECTION CINEMA
BARFUSS NACH TIMBUKTU ERNST AEBI – MIT DEM KOPF DURCH DEN SAND (MARTINA EGI)
SOUNDS AND SILENCE – UNTERWEGS MIT MANFRED EICHER (PETER GUYER, NORBERT WIEDMER)