DORIS SENN

PEPPERMINTA (PIPILOTTI RIST)

SELECTION CINEMA

Sie ist da: Pepperminta! Und mit ihr der lange erwartete Spielfilm der Videokünstlerin Pipilotti Rist. Rund vier Jahre hat sie daran gearbeitet und davon rund ein Drittel der Zeit allein für die Postproduktion aufgewendet. Der Name der titelgebenden Hauptfigur entstammt der Namensparade der Kinderbuchfigur Pippi Langstrumpf (wie schon Rists eigenes Vornamen-Pseudonym), deren aufmüpfiges Wesen sie teilt.

Die Mission der rothaarig-sommersprossigen Pepperminta, verkörpert von der Tän­zerin Ewelina Guzik, mit der Rist schon verschiedentlich zusammenarbeitete, heisst: Die Welt von Angst befreien und sie in Farbe tauchen. Und dafür gewinnt sie bald Mitstreiter: so den Hypochonder Werwen (Sven Pippig) oder die androgyne Edna (Sabine Timoteo), die über Tulpenfelder wacht, die sich sattrot bis zum Horizont ziehen. Nachdem die beiden vom geheimnisumwobenen Menstrua­tionsblut getrunken haben, das Pepperminta im Augapfel-Schatzkästchen ihrer Grossmut­­ter aufbewahrt, tollen die «drei Musketiere» mit ihren farbenprächtigen Uniformen durch die Welt und verwandeln sie in eine Villa Kunterbunt: Sie entlocken den Gästen im noblen Speiserestaurant die geheimsten Herzens­wünsche, verwandeln die staubtrocke­­ne Uni-Vorlesung in einen psychedelischen Massen­orgasmus und entkommen den tumben Ordnungs­hütern auf einem Gefährt, das sie mit «Türflügelschlag» antreiben.

Wie schon in ihrem Kurzfilm Pickelporno (CH 1992) und in ihren audiovisuellen Installationen, mit denen sie Museumssäle in aller Welt verzauberte, besticht Pipilotti auch in ihrem Kinodebüt mit viel Originalität und kühnen Kameraperspektiven: Sie verkehrt Oben und Unten, Gross und Klein und lässt die Farben in faszinierenden Kompositionen auf der Leinwand explodieren. Mit Pipilotti auf Bilderreise gehen heisst, die Riesenzehen im Lehm suhlen, schwerelos in tiefblaue Unterwasserwelten eintauchen und bunt bemalte Schneckenhäuschen in Grossaufnahme bestaunen. So wird Kino zu einem alle Sinne verzückenden Ereignis – wenn da die Erzählung nicht wäre: In einer Mélange aus Märchen, Kitsch, New Age und Feminismus reiht sich in Pepperminta Anekdote an Anekdote, ohne dass sich daraus ein wirklich spannungsreicher Plot entwickelt. Und auch die propagierte Anarchie der ansonsten so erfrischend-unverblümten Künstlerin ist mit der ausgiebig genutzten Off-Stimme etwas zu didaktisch geraten. So gelingt Pipilotti – trotz der poppigen Sinneswelt, die sie einmal mehr kreiert – der Sprung aus der Kunstwelt der Museen hinaus in die breitenwirksame Kultur der Kinosäle leider nur ansatzweise.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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