Lug und Betrug! Unanständige Rendite! Ein kostspieliges Doppelleben! Und alles ziemlich wahr, denn Der Fürsorger ist der Biografie von Hanspeter Streit frei nacherzählt. Streit alias Dr. Claudius Alder sorgte in den 1970er und 80er-Jahren als «Millionenbetrüger» in der Schweiz für Aufsehen. Im Film von Lutz Konermann heisst er Stalder und wird von Roeland Wiesnekker dargestellt.
Stalder ist ein ehemaliger Jungsoldat der Heilsarmee, ein Fürsorger und Familienvater, der auf die Idee kommt, seinen immer teureren Lebensstil mit dubiosen Geldgeschäften zu finanzieren. Er habe Kenntnis von einem «Geheimcode» und «Beziehungen» zum Finanzdirektor der «Chemie Schweiz AG» – mit dieser Mär und der Aussicht auf fantastische Gewinne überzeugt er zahlreiche private Klienten und Geschäftsleute, ihm grosse Bargeldbeträge anzuvertrauen. Stalder wird zwar an seiner ersten Wirkungsstätte verhaftet, aber sein Fluchtversuch aus dem Gefängnis glückt noch vor der gerichtlichen Verurteilung. Er taucht unter, wechselt die Identität, bleibt unerkannt. So kann er in seinem neuen Leben – und ohne seine zweite Ehefrau über die Hochstapelei aufzuklären – an einem anderen Ort die gleiche Methode weiterverfolgen. Wieder gelingt es ihm, einige Dorfbewohner von den Vorteilen der wundersamen Geldvermehrung zu überzeugen und kaum einer seiner Kunden interessiert sich für die Details der Finanzaktionen. Festgenommen wird Stalder schliesslich wegen fehlender Identitätspapiere.
Der Fürsorger findet mit mehreren Erzählebenen eine adäquate Form für diese verwirrliche Lebensgeschichte. Wenn Hanspeter Stalder aka Jean-Pierre aka Dr. Claudius Lenz bei der Polizei sein Geständnis ablegt, der zukünftigen Ehefrau beichtet oder aus dem Gefängnis Briefe an die Tochter schreibt, werden verschiedene Facetten von Realität und Fiktion verwoben.
Dem Millionenbetrüger Streit gelang es mit Erzählkunst, Cleverness und krimineller Energie, die bigotte Gutgläubigkeit seiner Opfer auszunützen. Ihre schamlosen Gewinnerwartungen waren aber mitentscheidend, wenn es darum ging, an der Nase herumgeführt zu werden. In Der Fürsorger sind diesen wesentlichen Motiven und der zwiespältigen Hauptfigur alle Kanten abgeschliffen worden. Das Resultat ist eine witzige, professionell produzierte, flott geschnittene und bemerkenswert schön ausgestattete Tragikomödie – aber auch die brave und unverbindliche Darstellung einer dramatischen Geschichte und darum eine verpasste Chance, denn der Zeitpunkt für eine vertiefte Auseinandersetzung mit Geldgier und Scheinheiligkeit wäre perfekt gewesen. Mit etwas mehr psychologischem Tiefgang und einer profunderen Einbettung ins gesellschaftliche Umfeld wäre aus diesem Protagonisten mehr geworden als eine (Witz)Figur mit kuriosem Lebenslauf.