ANNETTE ALTHAUS

DIE HARD – DAS EROTISCHE SPIEL MIT DEM TOD IM ACTIONFILM

ESSAY

Die Erotik ist vielschichtiger, als im Allgemeinen angenommen wird. Übersehen wird heutzutage gern die Tatsache, dass die Erotik eine wahnsinnige Welt ist und dass ihre ätherischen Formen nur eine dünne Schicht über infernalischen Abgründen bilden.

Georges Bataille

Prolog

«Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das eine für das andere greifen», sagt Penthesilea am Schluss von Heinrich von Kleists gleichnamigem dramatischen Werk, über den toten Körper von Achilles gebeugt, den sie vorher im Kampf getötet und anschliessend zerfleischt hat, obwohl sie ihn liebte.1 Oder weil sie ihn liebte? Die kannibalische Szene, in der das Sprichwort, dass man den Liebsten am liebsten aufessen möchte, in die grausige Tat umgesetzt wird, ist der Höhepunkt – der Showdown – eines Stückes, das man bei genauerem Hinsehen als Actionfilm avant l’image bezeichnen könnte. Denn es stellt eine tempound aktionsreiche Verfolgungsjagd dar, die uns Drittpersonen live kommentieren: «Am Zügel zieh’n sie, beim Lebendigen, / Mit ihrer Schlünde Dampf, das Fahrzeug fort! / Gehetzter Hirsche Flug ist schneller nicht! / Der Blick drängt unzerknickt sich durch die Räder, / zur Scheibe fliegend eingedreht, nicht hin! / Doch hinter ihm – Was? – An des Berges Saum – / Staub – Staub aufqualmend, wie Gewitterwolken: / Und, wie der Blitz vorzuckt – Ihr ew’gen Götter! / Penthesilea.»2 Das Filmwissenschafterinnenohr hört hier schon das Spektakel des zeitgenössischen Actionfilms anklingen: eine spannungsreiche Verfolgungsjagd als Kernstruktur, die entsprechenden Elemente wie rasende Fahrzeuge, Flug, Explosion – und sogar der gebannte Zuschauer ist auf der Bühne vertreten. Dabei bleiben die Rollen von Verfolger und Verfolgter bei Penthesilea stets ambivalent, so ambivalent wie das Begehren, das die Verfolgung antreibt: Die erotische Anziehung und der Wunsch, den anderen zu überwältigen und zu töten, halten sich die Waage und kippen jeweils unverhofft in ihr scheinbares Gegenteil. Die letzte tödliche Umarmung ist nur vordergründig als unglückliches Missverständnis dargestellt – dahinter wird eine enge Beziehung zwischen Erotik und Gewalt sichtbar.

Ich muss wohl ungefähr 14 Jahre alt gewesen sein, als mein zwei Jahre älterer Bruder die klassische Videosucht der Pubertät entwickelte. Gemeinsam mit seinem besten Freund lieh er sich in der Videothek eine Unmenge an Actionfilmen der späten Achtzigerjahre aus. Ganze Wochenenden verbrachten die beiden in Abwesenheit der Eltern in der abgedunkelten Stube, während auf dem Bildschirm Rambo durch den Schlamm robbte, Jackie Chan seine Gegner verprügelte und John McClaine Geiseln rettete. Von den zwei Jungs kaum beachtet, sass ich hinten auf dem Sofa, gleichzeitig angeekelt und gebannt von den blutigen Körpern und dem Aufgebot an Waffen und Sprengstoff. Meine Faszination richtete sich dabei gleichzeitig auf zweierlei: das tödliche Spektakel der männlichen Körper auf dem Bildschirm sowie auf die Dynamik zwischen dem Bildschirm und den zwei Jungs, die da nebeneinander, wortlos, aber in einem intimen Einverständnis, diese Körper in action betrachteten. Wir alle hatten das Gefühl, etwas Heimliches, Verbotenes zu tun, und machten eine Erfahrung, für die wir keine Worte fanden. Ich entdeckte eine Form von Erotik, die ich nicht mit der mir bis anhin geläufigen Liebesromantik von La boum (Claude Pinoteau, F 1980) zusammenbrachte. Und die Jungs eine Form, die eigentlich gar nicht sein konnte, weil ja keine Frauen im Spiel waren.

17 Jahre später steigt in mir diese Erinnerung hoch, als ich in der Videothek stöbere, um mir den passenden Film für einen Artikel zum Thema Erotik im Actionfilm auszusuchen. Mit Penthesilea im Kopf dachte ich erst an Jen Yu und ihren Wüstenprinzen in Crouching Tiger, Hidden Dragon (Ang Lee, Taiwan/Hongkong/USA/China 2000) oder George Clooney und Jennifer Lopez in Out of Sight (Steven Soderbergh, USA 1998). Aber diese Eroberungsspiele sind wohl höchstens «Penthesilea light» und können unter dem Sprichwort «Was sich liebt, das neckt sich» subsumiert werden: Die Verfolgung ist allzu eindeutig erotisch konnotiert und endet im sexuellen Akt und/oder in der grossen Liebe.

Kommt die wahre Action-Erotik also erst in den Filmen zum Vorschein, wo die Aggression nicht aufgelöst wird und es in den Verfolgungsjagden und Kämpfen tatsächlich um Leben und Tod geht? Ich bleibe also nicht vor dem eleganten Gentleman-Dieb George Clooney stehen, sondern vor einem verschwitzten und blutigen Bruce Willis mit Maschinengewehr. Hier scheinen Gewalt und Erotik näher beieinander zu liegen und in einem Körper vereinigt zu sein. Wodurch ist nun diese Erotik bedingt? Funktioniert sie trotz oder wegen der sichtbaren Gewalt? Und für wen? Zuschauer oder Zuschauerin? Für meine Analyse der spezifischen Action-Erotik packe ich also den modernen Genreklassiker Die Hard (John McTiernan, USA 1988) ein. Und auf dem Weg zur Kasse greife ich nach Fight Club (David Fincher, USA 1999) – wie schon so oft wird mir dieser Film auch hier helfen können, den erotischen Kern des Actionfilms herauszuschälen.

Blick, Körper, Geschlechter – und der Actionfilm als blinder Fleck

Warum wurden wir also damals vor dem Fernseher – sowohl mein Bruder und sein Freund wie auch ich – von einer Erotik berührt, die uns ungewöhnlich, wenn nicht gar unmöglich vorkam? Weil die gängige Sicht auf Geschlechter und Erotik im Kino implizit auf einer geschlechtersymmetrischen Identifikationstheorie basiert. Für den Actionfilm heisst dies: Es ist ein «Männergenre», in dem Männer auf und vor der Leinwand ihrer phallischen Omnipotenz frönen – und seltene Filme wie Charlie’s Angels (McG, USA 2000) stellen quasi die feministische Übernahme des Genres dar. In diesem Sinne kann man ein Phantom der Filmtheorie erkennen, das trotz dreissigjähriger Relativierung nicht tot zu kriegen ist: Die berühmt gewordene Analyse von Laura Mulvey, in der sie den klassischen Hollywoodblick als einen männlichen entlarvt, der sich mit dem des männlichen Helden identifiziert und das Objekt Frau auf zwei Weisen erotisiert: als sadistischer Voyeurismus durch Bestrafung in der Handlung (Femme fatale) oder als idealisierende Fetischisierung (im Spektakel).3

Nun gibt es aber wohl kaum ein reineres Spektakel als das des Actionfilms, in dem vornehmlich männliche Körper regelrecht zur Schau gestellt werden. Auch werden sie auf dem Weg zu ihrem Sieg meist exzessiv erniedrigt und verwundet und sind also viel weniger Subjekt als Objekt der zwei oben identifizierten erotischen Blickstrategien. Obwohl in letzter Zeit im Zuge der Fokussierung auf Männlichkeit öfter über das Spektakel der Inszenierung des männlichen Körpers im Kino publiziert wurde, werden diese im Actionfilm nach wie vor meist als erotisch unmarkiert wahrgenommen. Zum Beispiel in folgendem Zitat von Steve Neale: «The shoot-outs are moments of spectacle, points at which the narrative hesitates, comes to a momentary halt, but they are also points at which the drama is finally resolved, a suspense in the culmination of the narrative drive. They thus involve an imbrication of both forms of looking, their intertwining designed to minimize and displace the eroticism they each tend to involve, to disavow any explicitly erotic look at the male body.»4 Diese Verneinung einer Erotisierung der Männerkörper in action ignoriert sowohl jegliche homoerotischen Elemente – wenn wir nach wie vor einen männlichen Blick voraussetzen – wie auch den aktiven Zuschauerinnenblick.

Aber auch wenn ein weiblicher aktiv begehrender Blick im Kino und der erotisierte Mann auf der Leinwand je länger, je selbstverständlicher werden, werden diese noch heute selten im Actionfilm gesucht. Der Sexappeal der verschwitzten, zerschlagenen und blutig ums Überleben kämpfenden Helden in action ist anscheinend kein Thema. Im Gegenteil: Selbst bei jemandem wie Tyler Durden (Brad Pitt) in Fight Club – dessen erotische Ausstrahlung wohl unbestritten ist – wird diese diametral entgegengesetzt zur Gewalt gedacht und zurückgeführt auf «das gesunde, sportliche, saubere Image, das ihm anhaftet und das er selbst in Filmen wie Fight Club nicht ganz ablegen konnte – trotz scheusslicher Frisur, rosa Zuhälterbrille, Military-Look und trotz seines in vielen Szenen grün und blau geschlagenen Gesichtes».5 Einerseits ist also klar, dass in der gewaltsamen Action der männliche Körper dem Voyeurismus und der Fetischisierung ausgeliefert ist, wobei ihm aber eine explizite Erotisierung abgesprochen wird. Andererseits wird durchaus eine eindeutige Erotisierung des männlichen Körpers im Kino erkannt, aber meist nur auf den gutaussehenden hard body des Schauspielers und seinen Charme zurückgeführt. In der Mitte der zwei Ansätze treffen wir auf einen blinden Fleck – den uns aber Penthesilea sichtbar gemacht hat: die Verschränkung von Erotik und Gewalt. Wenn wir diese zusammendenken, dann sind die erotischen Markierungen im Actionfilm plötzlich nicht nur spür-, sondern auch benennbar: der Kampf, das Blut, die Schusswaffe, der Sprengstoff. «Der kleine Tod», wie man den sexuellen Höhepunkt im Französischen auch nennt, wird quasi in den grossen übersetzt – und dementsprechend verändern sich die erotischen «Gadgets». Gerade Fight Club hat dies wie kein anderer Film deutlich gemacht.

Der kleine und der grosse Tod – Erotik und Gewalt

Georges Bataille beschreibt die Erotik als «das Jasagen zum Leben bis in den Tod. Genaugenommen ist das keine Definition, aber ich glaube, dass diese Formel den Sinn der Erotik besser ausdrückt als irgendeine andere.»6 Was die Erotik anstrebt, kann in ihrer Totalität nur im Tod erreicht werden, nämlich den Verlust der Kontinuität des Seins, die Auflösung von Identitätsgrenzen. Und genau in dieser Sehnsucht nach Entgrenzung liegt für Bataille auch die Gewaltsamkeit der Erotik: «Alles, was die Erotik ins Werk setzt, hat zum Ziel, das Wesen im Allerintimsten zu treffen, dort, wo das Herz versagt [...]. Die ganze erotische Veranstaltung ist auf eine Zerstörung der Struktur jenes abgeschlossenen Wesens ausgerichtet, das der Partner des Spiels im Normalzustand ist.»7

Dass der Liebesimpuls, bis zum Äussersten gesteigert, ein Todesimpuls ist, hat Sigmund Freud mit der Dualität von Eros und Thanatos, Lebens- und Todestrieb, umschrieben.8 Die komplexe Verschränkung zwischen Todes- und Sexualtrieb, Erotik und Gewalt, hat Jacques Lacan schliesslich mit dem Begriff der jouissance auf den Punkt gebracht, welche eine Form von erotischem Geniessen ist, das über das Lustprinzip hinausgeht und den Todestrieb initiiert: «Jenseits der Grenze wird Lust zum Schmerz, und diese ‹schmerzhafte Lust› nennt Lacan das Geniessen: ‹Geniessen ist Leiden› [...], ‹der Weg zum Tod›.»9 Die Verknüpfung von extremem Geniessen und Gewaltsamkeit geht dabei – bei Lacan wie Bataille – auf eine Dynamik von Verbot und Überschreitung zurück, wobei das Verbot kein historisch spezifisches Sexualverbot ist, sondern die Unmöglichkeit einer unmittelbaren Körperlichkeit, die uns als sprachliche Wesen an sich versagt ist. In der Überschreitung des innerhalb dieses Verbots funktionierenden Lustprinzips führt der erotische Exzess zum Todestrieb – oder richtet sich als Aggressions und Destruktionstrieb auf ein äusseres Objekt.

Der erotische Kern des Actionfilms – Fight Club

Genau diese erotische jouissance verkörpert Tyler Durden in Fight Club – in seinen eigenen Worten: «Self-improvement is masturbation, yet self-destruction ...» Den Rest müssen wir selbst ergänzen. Die blutigen Faustkämpfe mit nacktem Oberkörper, die er sich mit dem namenlosen Erzähler und anderen Männern in schmutzigen Kellern liefert, strahlen eine Erotik aus, die auf die zelebrierte Verwundung, auf das Blut und den Schweiss der in sich verschlungenen Körper zurückzuführen ist. Das Ziel in diesen inszenierten Kämpfen ist nicht, den anderen zu schlagen, sondern geschlagen zu werden, lustvoll Schmerz zu verspüren; das Gegenüber ist weniger ein Feind in einem Kampf als ein Partner in einem gemeinsamen erotischen Körperritual. Edward Nortons Voice-over-Kommentar – «Fight Club wasn’t about winning or losing, it wasn’t about words» – stellt schliesslich geradezu eine Definition von Erotik dar. Während diese erotischen Momente in den esoterischen Meditationen der support groups für Todkranke, die der Held zu Beginn des Films besucht, ins Spirituelle überhöht wurden – «let’s do the one on ones and open ourselves up» –, werden sie im Fight Club, der alternativen Therapiegruppe von den durch die Konsumgesellschaft stumpf gewordenen Männern, wörtlich und am Körper erfahren.

Die Erotik folgt dabei der komplexen Verknüpfung von Leben und Tod, die Bataille als für sie spezifisch beschreibt. Einerseits heisst es in der Voiceover «You weren’t alive anywhere, like you were in Fight Club»; die Männer verspüren in den blutigen Kämpfen, in der Verwundung und Auflösung der Identitätsgrenzen eine neue Lebendigkeit. Andererseits geht diese aber nur einher mit der Prämisse von Tyler Durden «to hit bottom»: «First you have to know – not fear – that one day you’re gonna die.» Nur mit dem Tod vor Augen erhält die Lebendigkeit ihre Bedeutung – und ihre Erotik. Seinen Begleiter dem Tod möglichst nahe zu bringen, ist das Ziel aller Aktionen von Tyler Durden, sowohl der Säurenverbrennung seiner Hand in Form eines Kusses (!) wie auch des absichtlich herbeigeführten Autounfalls.10 Im Verlauf der Filmhandlung wird das Spiel mit dem Tod jedoch ernst und der Todestrieb für das eigene Sein so unerträglich, dass er sich in einen Aggressionstrieb wandelt. Die in erster Linie masochistisch ausgerichteten Faustkämpfe werden zu zerstörerischen Aktionen einer rigide geführten Terrortruppe und enden in der spektakulären Explosion von Wolkenkratzern – in einem klassischen Actionfilm.

Mit dieser Struktur weist Fight Club auf den erotischen Kern der Gewalt in Actionfilmen hin: Er liegt in der Verwundung und Identitätsauflösung, die in den blutigen Kämpfen stattfindet, im Spiel mit dem Tod, das dabei zelebriert wird. Dass die Erotik, die hier im kollegial inszenierten Kampf gezeigt wird, auch in «realen» Kämpfen in klassischen Actionfilmen aufscheint, soll hier an einem Bildvergleich beispielhaft veranschaulicht werden: Der Zweikampf von John McClaine gegen seinen Widersacher Karl gegen Ende von Die Hard (Abb. 1–3) unterscheidet sich auf einer visuellen Ebene kaum von den Kämpfen in Fight Club (Abb. 4–6).

Die Ähnlichkeit der zwei Kampfszenen macht deutlich, dass die der globalen Konsumgesellschaft überdrüssigen Männer in Fight Club sich eigentlich – ganz genrekonform – nach den handfesten Actionstars der Achtzigerjahre inszenieren und der Wunsch nach Omnipotenz, wie sie den Actionfilm kennzeichnet, den masochistischen Szenarien schon eingeschrieben ist. Dass es um die Inszenierung eines Actionfilms am eigenen Leibe geht, wird auch daran sichtbar, dass das Publikum bei den Zweierkämpfen eine wesentliche Rolle spielt: Der Blick der anfeuernden (männlichen) Menge in den Fight Clubs ist essenziell für das erotische Spektakel. Er entspricht dem Zuschauer des Actionfilms. In Fight Club ist das erotische Moment jedoch nicht auf eine Homo-, sondern eher auf eine narzisstische Autoerotik zurückzuführen, denn Tyler Durden wird gegen Ende des Films als Doppelgänger des Helden entlarvt – eine Figuration, die auch viele Actionfilme implizit durchzieht.

Indem die Männer in Fight Club den blutigen Kampf auf Leben und Tod als gemeinschaftliche Inszenierung betreiben, als Action-Performance im Actionfilm sozusagen, machen sie verschiedene Aspekte deutlich, die rückwirkend auch ein neues Licht auf die Action von Die Hard werfen. Neben dem inszenierten Spektakel, der deutlichen Erotisierung der Kämpfe, die eher autoals homoerotisch sind, und dem Spiel mit dem Tod ist dies vor allem die komplexe Verschränkung von Selbstermächtigung und Selbstauflösung, die den Kämpfen zugrunde liegt – die gegenseitige Verwundung und Auflösung von Identitätsgrenzen, die dabei stattfindet. Dies ist meines Erachtens der Grund für die unmittelbare Erotik der Bilder, die auch der Zuschauerin hinten auf dem Sofa nicht entgehen kann. Für den Helden im Film wird dieses Spiel mit dem Tod, sobald es die Action-Performance-Bühne verlässt, blutiger Ernst. Der Kinozuschauer – und die Zuschauerin – aber bleiben im sicheren Zuschauerring und können das erotische Spiel mit dem Tod weiterhin geniessen.

«Only John can drive somebody that crazy» – Die Hard

Die formale, genrespezifische Kontinuität zwischen einem als subversiv gefeierten Film wie Fight Club und einem Klassiker wie Die Hard lässt uns vielleicht das erotische Spiel mit dem Tod in letzterem – das hier schon im Titel anklingt – komplexer betrachten. Die Geiselnahme im Nakatomi-Wolkenkratzer, die John McClaine als New Yorker Cop auf Weihnachtsurlaub im Alleingang zwischen kaltblütigen Terroristen und ineffizienter Staatsmacht mit handfester Gewalt zu beenden versucht, ist nur eine Inszenierung von gewieften Räubern, die damit ihre banalen Diebesspuren verwischen. Die Entlarvung des terroristischen Plots als Konstrukt zeigt nicht nur innerhalb der Diegese, dass sich alles nur ums Geld dreht, sondern auch ausserhalb, dass sich alles nur um die Action – und ihre Erotik – dreht.

Im dynamitreichen Katz-und-Maus-Spiel, das sich in der Folge zwischen den Geiselnehmern und John McClaine entwickelt, steht der Körper von Bruce Willis eindeutig im Zentrum, und seine Unzerstörbarkeit wird durch dessen exzessive Verwundung aufgewogen, die sich vor dem Blick der Kinozuschauerschaft entfaltet. Wenn er «Hey girls» ruft, als er bei seiner Flucht durch die Gänge des Hochhauses zum zweiten Mal das gleiche Pin-up-Poster kreuzt, so ist dies weniger ein Zeichen von Sexismus oder männlichem Voyeurismus als von Komplizenschaft: Gerade weil ihm sonst niemand zusieht bei seinen gefährlichen Aktionen im Lift- und Lüftungssystem des Hochhauses, er in seinen ironischen Kommentaren das Publikum aber miteinbezieht, wird sein Körper in action hier eindeutig zum Pin-up – auch für die Girls im Publikum (Abb. 7). «Only John can drive somebody that crazy», kommentiert seine Frau Holly (eine der Geiseln) die Wut des Terroristen Karl über die Niederlage gegen McClaine.

Die Erotik dieses Pin-ups liegt nun auch hier meiner Meinung nach weniger an den trainierten Muskeln und deren Einsatz, die «das berühmteste Unterhemd der Welt»11 freigibt, als am Blut, das sich im Verlauf des Films auf diesem Unterhemd mehrt, und an der Überschreitung von Körperund Identitätsgrenzen, die mit der Verwundung einhergehen. Der Ausdruck wife beater, der diese Sorte Männerunterhemden im Englischen bezeichnet, wird hier ironisch verkehrt, denn wer bis zum Exzess geschlagen wird, das ist John McClaine selbst. Ausserdem ist der Actionheld von Beginn weg barfuss unterwegs, da ihn die Terroristen genau in dem Moment überraschen, als er sich Schuhe und Socken auszieht, um die während dem Flug eingezwängten Zehen zu befreien. Dies wissen die Terroristen auszunutzen, indem sie seinen Fluchtweg mit Glasscherben übersäen. Wenn er sich mit letzter Kraft und völlig zerschnittenen Füssen – die eine rote Blutspur auf den Kacheln hinterlassen – in ein Badezimmer rettet, mit schmerzverzerrtem Gesicht die Scherben aus den Füssen zieht und sein Unterhemd darum wickelt, dann strahlt dieser blutige Körper eine gewaltsame Erotik aus, die genau auf das spannungsvolle Wechselspiel zwischen gestähltem Arm und verletztem Fuss zurückzuführen ist (Abb. 8). Das Spiel mit dem Tod, das in Fight Club anhand eines inszenierten Partnerkampfes durchgespielt wird, findet hier auch und vor allem an einem einzelnen Körper statt: eine erotische Oszillation von zerstörerischem und zerstörtem Körper, von Destruktionstrieb und Todestrieb. Diese zieht sich durch den ganzen Film, da John McClaines Rettungsaktion im Alleingang sowohl eine Ermächtigungsfantasie wie auch eine masochistische Selbstauflösung darstellt – denn seine «Hilfe» ist in keiner Weise gefragt und kommt einem selbst auferlegten Martyrium gleich. So beklagt er sich bei seinem Unterstützer, dem Cop Al Powell, über Funk: «I feel fucking underappreciated», worauf dieser meint: «But I love you and so do the other guys.» Obwohl hier also eine homoerotische Ebene in der Tradition des buddy movie angelegt ist, sollte man dieses «I love you» auch als Identifizierung lesen im Sinne von «Du bist unser Held». Der Held strahlt eine Erotik aus, die für den Betrachter weder ausschliesslich in der Identifizierung mit einem Ich-Ideal (Autoerotik) noch in seiner Rolle als erotisches Objekt des Begehrens liegt, sondern genau in der Verschränkung der beiden. Die Kombination von Voyeurismus und Fetischisierung bei der Betrachtung des männlichen Körpers in action, die Neale als Verhinderung der Erotik liest, muss also noch mit der dritten Strategie der Identifizierung ergänzt werden, welche genau die Erotisierung möglich macht, die, wie wir im Fall von Fight Club gesehen haben, immer zwischen Objekterotik und Autoerotik schwankt. Der männliche Körper in action, wie ihn Bruce Willis hier paradigmatisch darstellt, verkörpert das Spiel mit dem Tod, das der Erotik zugrunde liegt, indem er den kleinen Tod durch den grossen ersetzt, welcher ihn aber genauso zeichnet, wie er ihn selbst umsetzt. Was Bataille bezüglich der Erotik für den Roman attestiert, kann auch auf den Actionfilm angewandt werden: «Der willkürliche Charakter [des Actionfilms] und die Tatsache, dass der [Zuschauer] vor aller Gefahr geschützt ist, verdecken gewöhnlich, worum es geht – nämlich dass wir durch Stellvertretung erleben, was wir selbst zu leben nicht die Kraft haben. Es handelt sich darum, indem wir es ohne grosse Angst ertragen, das Gefühl des Verlusts oder das Gefühl, in Gefahr zu sein, das uns das Abenteuer eines anderen verschafft, zu geniessen12

In Die Hard wird das Actionspektakel durch eine heterosexuelle Liebesgeschichte gerahmt und kann somit umso mehr als gewalttätige erotische Fantasie gelesen werden. Es geht um die Versöhnung von John McClaine und seiner beruflich erfolgreichen und von ihm getrennt lebenden Ehefrau Holly, die sich beide wünschen, aber die Frage ist dieselbe wie für Penthesilea und Achilles: In welchem Machtverhältnis soll diese Vereinigung stattfinden? Die Besetzung des Hochhauses durch die Terroristen und das daraus sich entwickelnde blutige Spektakel unterbricht einen entsprechenden Versöhnungsversuch, der vom erotischen Flirt in einen Streit kippt. Wenn man das Actionspektakel nun als stellvertretende gewalttätige Wunschfantasie liest, dann kann diese interessanterweise keinem der beiden eindeutig zugeordnet werden: Es ist nicht klar, ob John sich ein blutiges Katastrophenszenario ausdenkt, um als Retter in Erscheinung treten zu können, dabei aber vor allem selbst verwundet und erniedrigt wird, oder ob Holly seine Malträtierung als Strafe imaginiert, bei der er dann doch reüssieren darf. In den Worten des Regisseurs erzählt der Film eine Version von Shakespeares Midsummer Night’s Dream, und die blutige Umarmung am Ende der Gewaltfantasie zeigt, dass die Liftschächte des Hochhauses auch die Abgründe des gewaltsamen erotischen Begehrens waren – der beiden Figuren sowie der Zuschauer beider Geschlechter (Abb. 9).13

Die Hard übersetzt also – verkörpert im Helden John McClaine – den kleinen Tod in den grossen und lässt uns so über die schützende Distanz der Kinoleinwand etwas von der Gewalttätigkeit erfahren, die der Erotik per se zugrunde liegt – wie auch von der Erotik, die der Gewalt innewohnt. Dabei liefert er durch sein Spektakel McClaines Körper dem erotischen Blick sowohl des Zuschauers wie auch der Zuschauerin aus. Die Attribute der Gewalt sind für diese Erotisierung nicht hinderlich, sondern deren Umsetzung: Der Schweiss, das Blut, die Schusswaffe und der Kugelhagel sind substanzielle Elemente dieser Action-Erotik.

Annette Althaus ist vor der Drucklegung dieses Buches gestorben und konnte deshalb die letzte Version des Textes nicht mehr autorisieren. Die Redaktion hofft, dass die Publikation dieses Essays im Sinne der Verstorbenen ist.

Heinrich von Kleist, Penthesilea (1807), Frankfurt 1994, S. 101 (Verse 2981–2983).

Ebd. S. 14 (Verse 382–390).

Laura Mulvey, «Visual Pleasure and Narrative Cinema» (1975) und «Afterthoughts on ‹Visual Pleasure and Narrative Cinema› inspired by Duel in the Sun» (1981), in: dies., Visual and Other Pleasures, Bloomington 1989, S. 14–26, 29–38. Man bemerke, dass Mulvey selbst ihre erste allzu schematische Theorie anhand eines Westerns relativiert hat.

Steve Neale, «Masculinity as Spectacle» (1983), in: Steven Cohan / Ina Rea Hark (Hgg.), Screening the Male. Exploring Masculinities in Hollywood Cinema, London 1993, S. 18.

Daniela Sannwald, «Der Goldjunge: Brad Pitt», in: Sabine Horst / Constanze Kleis (Hgg.), Göttliche Kerle. Männer – Sex – Kino, Berlin 2002, S. 67; meine Hervorhebung.

Georges Bataille, Die Erotik (1946), übers. von Gerd Bergfleth, München 1994, S. 13.

Ebd. S. 19.

Sigmund Freud, «Jenseits des Lustprinzips» (1920), in ders.: Psychologie des Unbewussten, Studienausgabe Band III, Frankfurt am Main 2000, S. 213–272.

Dylan Evans, Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse (1996), übers. von Gabriella Burkhart, Wien 2002, S. 114f.

Die Erotik von Autounfällen und -zusammenstössen hat ein anderer Film besonders deutlich gemacht: Crash (David Cronenberg, CAN/USA, 1996).

So heisst Annette Kilzers Porträt von Bruce Willis in: Annette Kilzer (Hg.), Bruce Willis, Berlin 2000, S. 11–116. Sie beschreibt auch, wie das Unterhemd merkwürdigerweise während des Films plötzlich die Farbe wechselt und – schon im verschmutzten Zustand – zu einem khakifarbenen wird. Dies muss man wohl aber in erster Linie als schlichten Continuity-Fehler verstehen.

Bataille (wie Anm. 6), S. 85.

John McTiernan in Kilzer (wie Anm. 11), S. 41.

Annette Althaus
1974–2005, hat Literaturund Filmwissenschaft studiert. Arbeitete am Schauspielhaus Zürich und für die Kulturstiftung Pro Helvetia. Zuletzt forschte sie im Rahmen des Berliner Graduiertenkollegs «Körper-Inszenierungen» für ihre Dissertation mit dem Arbeitstitel «Subjekt in der Krise: Doppelgänger – Mörder – Voyeur».
(Stand: 2006)
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