DANIEL STAPFER

ZWISCHEN AMDEN UND RÜMLANG — SEXFILME AUS SCHWEIZER PRODUKTION

ESSAY

In der Schweiz und mit Schweizer Geld entstanden viele Sexfilme. Produkte zwischen Volleyball am Nudistenstrand und Hardcore-Leibesübungen in der Skihütte. Zwischen Koproduktion und Eigenproduktion. Zwischen Sechzigerjahren und Achtzigerjahren. Zwischen Amden und Rümlang.

In der Literatur wurde dieses Kapitel der Geschichte des Schweizer Films bis anhin geflissentlich unterschlagen. Erforscht und aufgearbeitet ist fast nichts. Im Folgenden wagen wir den Versuch einer ersten Auslegeordnung. Die Jahreszahlen in den Filmografien, die je maximal zwölf Filme aufführen, sind im besten Fall approximativ.

Wo Edelweiss-Berge sich erheben

1975. Mitte der Siebzigerjahre. Die Constantin (Schulmädchen-Report 9. Teil: Reifeprüfung vor dem Abitur) bringt den Heimatfilm Der Edelweisskönig in die westdeutschen Kinos. In Helsinki wird die Schlussakte der KSZE unterzeichnet. Die ARD zeigt sechs neue Folgen der Erfolgsserie Klimbim. Südvietnam kapituliert. Erwin C. Dietrich schneidet Blutjunge Verführerinnen 3 unter Zuzug von auf Vorrat gedrehten Szenen aus Das Mädchen aus Klimbim mit Ingrid Steeger zu Die Blonde mit dem süssen Busen um. In Stammheim beginnt der RAF-Prozess. Teleboy Kurt Felix erzielt am Schweizer Fernsehen Rekordeinschaltquoten. Die Schweizer Wirtschaft steckt in der schwersten Rezession seit 1945. Nach dem supererfolgreichen Emmanuelle kommt mit Die Geschichte der O. ein neuer Highbrow-Sexfilm von Just Jaeckin in die Kinos. In der Schweiz gibt es noch keine Miss Schweiz. Jess Franco trifft auf Erwin C. Dietrich. In Spanien stirbt Diktator Franco. Dietrich gründet die Firma Ascot. Tiger Woods und David Beckham werden geboren. Xavier Koller, Edi Stöckli und Paul Grau stossen zu Dietrich. Onassis stirbt, und Pasolini wird ermordet. Im Filmstudio in Rümlang herrscht Hochbetrieb. ABBA veröffentlicht das Album ABBA.

Sexfilm-Drehs

Wo wurden in der Schweiz Sexfilme gedreht? Wie ging es bei diesen Drehs zu und her? Waren die Darsteller Schweizer? Wie viel verdienten sie? Wie viel kostete ein solcher Film? Wie viel spielte er ein? Konkrete Fragen stellen sich viele, die oft anekdotischen Antworten haben aber vorläufig keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Sexfilme von Erwin C. Dietrich wurden vor allem im Studio Neuhaus in Rümlang, im ersten Stock des Restaurants Bahnhof, auf 35 mm ohne Ton gedreht, ab 1975 auch in einer herrschaftlichen Villa an der Sonnenbergstrasse 124 in Zürich. Beide Gebäude stehen heute nicht mehr. Das Rümlanger Studio war ursprünglich der Produktionsraum von Walter Kägi (1911–1984), die Sonnenberg-Villa diente gleichzeitig als Wohnhaus von Paul Grau (geb. 1950). Bevorzugter Drehort für die Spiegel-Pornos war ein grosses Chalet in Amden über dem Walensee. Die eigentliche Spezialität von Pierre Spiegels Yvofilmen waren aber Aussenaufnahmen in der freien Natur, insbesondere im echten Wintersport-Schnee. Die Dreharbeiten zu Sexfilmproduktionen von Kunz, Stöckli und Monarex dagegen fanden mehrheitlich im Ausland statt.

Laut übereinstimmenden Berichten verschiedener Akteure ging es bei Dreharbeiten in der Schweiz fast immer seriös und professionell zu und her. Die Drehpläne waren straff, die Arbeitstage lang, der Raum für sexuelle Eskapaden mit Darstellerinnen klein. Dem Ganzen haftete oft auch etwas Familiäres an, so gab es zum Beispiel bei den Drehs in Amden kein Catering, sondern Produzentin Yvonne Spiegel kochte selber für Cast und Crew. Wie geläufig Sexfilmdrehs in den Siebzigerjahren waren, zeigt die Tatsache, dass es Scharlatanen immer wieder gelang, Frauen mit Inseraten zu angeblichen Castings zu locken. Vor Ort mimte Mann dann mit im Fachgeschäft gemietetem Equipment den Sexfilmproduzenten. Das Ziel dieser Witzbolde war aber definitiv nicht die Herstellung eines Sexfilms ...

Bei Erwin C. Dietrich waren relativ viele Darsteller und Darstellerinnen Schweizer oder Personen mit festem Wohnsitz in der Schweiz. Mindestens ebenso viele und oft auch gerade die Hauptdarsteller waren aber Ausländer, Profis, die von Agenturen und Agenten (zum Beispiel Josef Moosholzer in München) für Dreharbeiten an Dietrich vermittelt wurden. Die Identifizierung und Lokalisierung der «Schweizer» Besetzung, meist Laiendarsteller, ist schwierig und heute oft kaum mehr möglich. Dies gilt mehrheitlich auch für die ausländischen Profis, mal abgesehen von den wenigen wirklichen Stars der Szene wie Ingrid Steeger oder Brigitte Lahaie. Auf alle Fälle war das Casting bei den Dietrich-Filmen eine höchst dynamische Angelegenheit. In der Not trieb man auf die Schnelle eben noch ein paar Männchen (z. B. Fussballvereine) und Weibchen (z. B. Barflies) auf. Die Anekdoten in diesem Bereich sind zahlreich und bunt. Wenig spannend war das Casting hingegen bei den SpiegelPornos. Cast und Crew blieben bei fast allen Filmen gleich und wurden von den französischen Pornoprofis rund um Alpha France / Francis Mischkind ausgewählt. Die Spiegels waren im Wesentlichen für die Bereitstellung des technischen Equipments und der Locations verantwortlich.

Wenn es um Geldbeträge geht, wird die Sache wirklich schwierig. Man hält sich heute noch gerne bedeckt. Wie viel verdiente eine Darstellerin? 500 Franken pro Drehtag zahlte Dietrich den Frauen Mitte der Siebzigerjahre, allerdings nur, wenn sie sich fleissig entblössten. Damit die Rechnung am Schluss auch stimmte, wurde den Darstellerinnen eine gewisse Anzahl Drehtage garantiert.

Die Kosten eines durchschnittlichen Dietrich-Sexfilms sind nicht einfach zu schätzen. Man verfügte über viele Festangestellte und eigenes Equipment. Vor dem Auftrag ans Kopierwerk und ohne Berücksichtigung der Kosten für Werbung und Synchronisation dürfte eine durchschnittliche Produktion Mitte der Siebzigerjahre aber etwa 100’000 Schweizer Franken gekostet haben. Nach Möglichkeit versuchte man natürlich auch im Schweizer Sexfilmbusiness mit fremdem Geld zu arbeiten. Die Spiegels etwa bekamen den Löwenanteil von einem bekannten Möbelhändler aus Zürich. Hinter der Firma von Michel Lemoine, RML, wiederum steckte in Tat und Wahrheit der potente französische Pornokrat Francis Mischkind (Alpha France). Auch bei Dietrich, der Mitte der Siebzigerjahre über grosse eigene Mittel verfügte, war fremdes Geld gefragt. Besonders beliebt waren hierzu die deutschen Steuerabschreiber (Tax Shelter), deren undurchsichtige Struktur aber immer wieder dafür sorgte, dass sich Leute wie Dietrich die Finger daran verbrannten.

Schweizer Abnehmer für die Sexfilmware zu finden, war bis 1982 kein grosses Problem. Die Nachfrage war gross. Sehr viele Kinos spielten in den Siebzigerjahren regelmässig Sexfilme, und auch die meisten Verleiher kauften solche ein. Dietrich und die Spiegels befanden sich sowieso in der komfortablen Situation, die eigenen Filme in der Schweiz im eigenen Verleih in die Kinos bringen zu können. Auch programmierten sie gewisse Kinos exklusiv (Dietrich beispielsweise die Kinos Seefeld und Cinébref, die Spiegels das Maxim). Edi Stöckli verfügte in der Schweiz sehr schnell über viele eigene Kinos, in denen er die Topfilme aus dem Beate-Uhse-Verleih exklusiv spielen konnte.

Fast nichts ist über die absoluten Einspielergebnisse eines durchschnittlichen ECD-Sexfilms bekannt. Sicher ist, dass diese Filme schon nach der Kinoauswertung einen fetten Reingewinn in Dietrichs Kasse spülten. Verlustgeschäfte waren so gut wie unbekannt. Auch die Yvofilme der Spiegels waren zu Beginn ein gutes Geschäft mit satten Gewinnen. Die Ware liess sich immer weltweit verkaufen. Doch strukturelle Veränderungen, zu denen die Explosion des VHS-Marktes und der entsprechende Zerfall der Pornokino-Infrastruktur (mit Ausnahme der Schweiz!) gehörten, liessen die Preise, die für Pornofilme erzielt werden konnten, Mitte der Achtzigerjahre in den Keller fallen. Dietrich hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits endgültig aus dem Sexfilmbusiness verabschiedet. Die Spiegels taten es ihm bald gleich.

Sexfilmproduzenten

Naturisten

Alles begann mit der Vermarktung von Nacktheit. In den Fünfzigerjahren etablierten sich in den USA Nudisten-Filme als festes Exploitation-Genre. Und ein Schweizer war von Anfang an mit von der Partie. Der Zürcher Werner Kunz (geb. 1926 in Thun), selbst aktiver FKKler, erkannte das kommerzielle Potential von pseudodokumentarisch abgefilmter nackter Haut. In der Tourismusbranche tätig, erlernte Kunz das Filmhandwerk bei Ferienfilmen und Reisereportagen. Seine 16-mm-Ware lief in den Fünfzigerjahren meist noch in geschlossener Gesellschaft, doch zuweilen gelang es ihm, der Zensur ein Schnippchen zu schlagen und die Streifen unter dem Deckmantel «Dokumentar- und Kulturfilm» in öffentlichen Sälen, wie beispielsweise im Kongresshaus Zürich, zu zeigen. Vor dem Zugriff der Staatsmacht war aber natürlich auch Kunz nicht gänzlich gefeit. So wurde er etwa 1956 vom Statthalteramt Bülach zu einer Busse verurteilt, weil er am 21. Oktober 1955 dem FC Swissair zwei seiner Naturisten-Filme vorgeführt hatte! Doch solche Bussen minderten den gewaltigen geschäftlichen Erfolg des Nudistenfilm-Pioniers aus helvetischen Landen nicht. Der sprachgewandte, geschäftstüchtige und überkorrekte Herr mit gepflegtem Auftreten konnte seine Produkte bald in ganz Europa und in die USA verkaufen und ein breites Kontaktnetz aufbauen. Beim in Dumonts Geschichte des Schweizer Films dokumentierten Kunz-Film Sonne, Meer und nackte Menschen (1962) fällt die Beteiligung der englischen Produzentenlegende Tony Tenser (Naked As Nature Intended, George Harrison Marks, GB 1961) auf und die Arbeit der beiden Kameramänner Adolf Jenny (S’Waisechind vo Engelberg, Hermann Kugelstadt, CH 1956) und Edgar Reiser. Letzterer arbeitete später nicht nur als Tonmann im Opernhaus Zürich, sondern auch als «Mädchen für alles» im Studio Rümlang, wo fast alle ErwinC.-Dietrich-Sexfilme entstanden. Das Studio Rümlang wiederum hatte ursprünglich dem Zürcher Walter Kägi gehört, der bei diesem Kunz-Film den Schnitt besorgte. Im Buch von Dumont ist auch nachzuschlagen, dass Werner Kunz massgeblich an der Hellstern-Produktion Die Oben-ohne-Story (Wolfgang Selnig, CH 1965) beteiligt war. Peter und Martin Hellstern waren es auch, die zusammen mit Ringier (Zofingen) in München die FilmproduktionsGmbH Rinco gründeten. Rinco produzierte später den Sensationserfolg Helga (Erich F. Bender, D 1967) und weitere Sexualaufklärungsfilme. Im Rinco-Film Deine Zärtlichkeiten (1969) ist übrigens unter der Regie Peter Schamonis kurz auch die spanische Billigfilm-Legende Jess Franco in einem Cameo-Auftritt zu sehen!

Als 1968 die Sexfilmwelle im deutschsprachigen Raum so richtig ins Rollen kam, versuchte Werner Kunz auf den Zug aufzuspringen. Das Resultat waren die beiden Sex-Klamotten Das bumsfidele Töchterinternat (1969) und Das bumsfidele Heiratsbüro (1972). Danach verschwand der «Nudisten-Kunz» aus der Sexfilmszene, spielte aber im Hintergrund bei der Abwicklung von Deals weiterhin eine wichtige Rolle. So arbeitete er beispielsweise als Kundenvermittler für die Spiegels. Sowieso konnte es sich Kunz mit seinem durch Nudistenfilme erwirtschafteten Vermögen schon 1974 leisten, sich hauptsächlich dem Dolcefarniente an den Nudisten-Stränden Teneriffas zu widmen, wo er bereits einen legendären Ruf genoss.

Ausgewählte Filme von Werner Kunz:

Lockender Süden (1956)

Sonne auf der Haut (1957)

Töchter der Sonne (1962)

Mittsommernacht in Schweden (1964)

Flucht ins Paradies (1965)

Bikini – mit und ohne (1966)

So badet die Welt (1966)

Sonne, Wonne, Meer (1966)

Sylt zwischen Sex und Sekt (1966)

Super Sex Schau 68 (1968)

Charleys Tante – nackt (1969)

Sex Connection (1972)

ECD

Auch der wichtigste Player der Schweizer Sexfilmszene, Erwin C. Dietrich, machte 1968 noch einen verspäteten Nudistenfilm: Nackter Norden. Selbst wenn diese Filme schon damals démodé waren, konnte Dietrich bei seiner Version immer noch den Mythos von Sex-Skandinavien anzapfen. Damit hielt er sich auch die Zensurbehörden vom Leibe, denn die «Freiwillige Selbstkontrolle FSK» hatte mit «natürlicher», «skandinavischer» Nacktheit keinerlei Mühe.

1968 war das Durchbruchsjahr für Dietrich. Mit seinem Sexfilm Die Nichten der Frau Oberst hatte er einen unglaublichen Kassenschlager gelandet und spielte ab diesem Zeitpunkt bis zum kommerziellen Niedergang des Genres in den Achtzigerjahren immer eine wichtige Rolle im hart umkämpften Sexfilmmarkt.

Der 1930 in Glarus geborene St. Galler hatte 1968 schon über zehn Jahre steinigen Weges im Filmbusiness hinter sich (Der König der Bernina, 1957), ein mühsamer Weg, der ihn mehrmals nahe an den finanziellen Abgrund geführt hatte. Kurz vor 1968 hatte Dietrich damit begonnen, auf den Sex-Trumpf zu setzen, und ab 1968 begann diese Karte dann so richtig zu stechen. Sexfilme liefen bald in Serie aus der höchst effizienten und produktiven Filmfabrik des Unternehmers. Über 70 Stück wurden bis 1983 produziert! Zudem brachte der Produzent Dietrich als wichtiger Verleiher auch viele fremde Sexfilme in die Kinos. Mit diesem «Sex Business Made in Zurich» verdiente sich der Schweizer Filmunternehmer bis ans Ende seiner Produzententätigkeit eine goldene Nase.

Zwar ist die Sex-Filmografie Dietrichs deutlich besser erfasst als diejenige eines Werner Kunz, doch auch sie birgt immer noch genügend Geheimnisse und Rätsel. Eine wichtige Untergruppe der ECD-Produktionen bilden die Filme, welche der Spanier Jess Franco (geb. 1930) in den Jahren 1975–1977 mit dem Geld und im Auftrag von Dietrich herstellte. Es sind insbesondere diese Franco-Filme, die dafür sorgten, dass der Name Erwin C. Dietrich weltweit nicht in Vergessenheit geriet. Sie stehen auch im Zentrum einer ebenso aufwändigen wie lukrativen DVD-Editionstätigkeit, die der heute 75-jährige Dietrich immer noch selbst betreibt. Mit Fug und Recht darf behauptet werden, dass diese Editionen eine wertvolle Grundlage für die Rekonstruktion eines zentralen Kapitels der Schweizer Filmgeschichte bilden.

Ausgewählte Filme von Erwin C. Dietrich:

Schwarzer Markt der Liebe (1966)

St. Pauli zwischen Nacht und Morgen (1966)

Seitenstrassen der Prostitution (1967)

Unruhige Töchter (1967)

... und noch nicht 16 (1967)

Hinterhöfe der Liebe (1968)

Die Nichten der Frau Oberst (1968)

Porno Baby (1970)

Blutjunge Verführerinnen (1971)

6 Schwedinnen im Pensionat (1979)

Die Nichten der Frau Oberst (1979)

6 Schwedinnen auf der Alm (1983)

Porno-Stöckli

Viele arbeitslose Schweizer Filmleute fanden im florierenden Dietrich-Betrieb ein zeitweiliges Auskommen. Zum Beispiel 1975 die Macher des Flops Hannibal (1972), die gleichaltrigen Herren Xavier Koller und Edi Stöckli. Die beiden hatten sich mit diesem Kunstfilm massive Schulden aufgeladen. Stöckli packte die Chance, die Dietrich ihm bot, und sanierte nicht nur in kürzester Zeit seine Finanzen, sondern baute mit der Sicherheit der Anstellung bei Dietrich im Rücken, aber an diesem vorbei, eigene Firmen und Firmenbeziehungen auf, die ihm zum bestmöglichen Zeitpunkt den Einstieg ins Geschäft mit HardcorePornofilmen ermöglichten. Entscheidend dabei war die Zusammenarbeit mit der deutschen Beate Uhse AG. Edi Stöckli und seine Pornofilm-Produktionsfirma Filminvest AG Zürich wurden zu wichtigen Content-Providern für deren Filmverleih. Nicht zufällig war dann später im Beate-Uhse-VHS-Katalog der Film mit der Bestellnummer 001, Bangkok Porno (1977), Edi Stöcklis Pornoversion der Dietrich-Produktion Nach Bangkok ... der Liebe wegen (1977). Stöckli bewies eine glückliche Hand bei der Wahl seiner Filminvestitionen und arbeitete in kürzester Zeit mit den Topnamen im Pornofilmbereich, darunter Legenden wie Gérard Kikoïne und Alan Vydra. Diese Pornofilme entstanden nicht in der Schweiz, sondern mit Stöckli-Geld in Frankreich, der BRD und den USA. 1978 war Edi Stöckli schon nicht mehr bei ECD und baute mit seiner Firma East Cinemas AG in der Schweiz in kürzester Zeit ein beeindruckendes Netz von Pornokinos auf. In diesem Bereich beherrscht Edi Stöckli den Schweizer Markt nach wie vor zu 100 Prozent. Seine Auskunftsfreudigkeit hält sich heute leider in engen Grenzen. Sein geschäftlicher Erfolg hingegen nicht.

Ausgewählte Filme von Edi Stöckli:

Hannibal (1972)

Ein Käfer auf Extratour (1973) (Produktionsleitung)

Liebesbriefe einer portugiesischen Nonne (1977) (Produktionsleitung)

Bangkok Porno (1977)

Je nässer, umso besser aka Mädchen, die am Wege liegen (1981)

Junges Paar sucht gleichgesinntes (1981)

Die Mädchen von St. Tropez (1981)

Love Dreams (1981)

Hey Baby Hey (1982)

Golden Girls (1982)

Spiegel

Der kleine Zürcher Verleiher Adolphe Spiegel unterhielt mit seiner SphinxFilm AG am Limmatquai 3 von 1957 an eine enge persönliche und geschäftliche Beziehung mit ECD. Nach seinem relativ frühen Tod übernahm Spiegels Sohn Pierre (geb. 1948) 1975 den Sphinx-Verleih und benannte ihn in SpiegelFilm um. Sphinx/Spiegel-Film hatte immer auch Sexfilme eingekauft, legendär erfolgreich war zum Beispiel schon Mitte der Sechzigerjahre Nuit la plus longue (1964) von José Bénazéraf, der im Zürcher Kino Le Paris lief. Auch die Dietrich-Filme Die Nichten der Frau Oberst und Nackter Norden liefen in der Schweiz im Sphinx/Spiegel-Verleih. Pierre Spiegel kaufte die Erotikfilme vor allem in Frankreich ein. Nachdem Pornofilme in der Schweiz ab 1979 de facto völlig freigegeben waren, beschlossen Pierre und seine Ehefrau Yvonne als Produzenten in das lukrative Pornofilmbusiness einzusteigen. In der Folge entstanden in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre unter der Regie des Franzosen Michel Lemoine alias Michel Leblanc und meist mit dem Star Olinka Hardiman ein rundes Dutzend Yvo-Pornofilme, hauptsächlich gedreht in der Schweiz, hauptsächlich mit Geld aus Zürich.

Yvofilm-Produktionen wurden systematisch in drei Versionen hergestellt: eine Erotikfassung ganz ohne Sex, eine Softsex-Fassung mit simuliertem oder nicht sichtbarem Sex und eine Hardcore-Fassung mit expliziter Darstellung von Penetration und Ejakulation. Bestimmte «Scharnier-Einstellungen» erleichterten die Anfertigung entsprechender Schnittfassungen. Yvo-Softsexfilme waren also nicht heruntergeschnittene Hardcore-Pornos und Yvo-Pornos umgekehrt keine durch Inserts aufgepeppten Softsexfilme.

Die Hardcore-Fassungen der Yvo-Filme liefen in Zürich exklusiv im Kino Maxim an der Langstrasse; die Soft-Fassungen verteilten in der BRD teilweise Dietrich-Verleihfirmen. Rosalie: heisse Körper, ein Film aus dieser Reihe, wurde in der Schweiz legendär, weil das Schweizer Fernsehen im Rahmen der Sendung «limit» dessen Soft-Fassung als Beispiel eines repräsentativen «Pornos» ausstrahlte. Nachdem die weltweite Vermarktung der Lemoine/Olinka-Filme keine nennenswerten Profite mehr abwarf und die Etablierung eines eigenen Videolabels misslang, stiegen die Spiegels endgültig aus dem Sexfilmbusiness aus. Auch den Kinofilmverleih stellten sie ein.

Ausgewählte Filme von Spiegel:

Amours aux sports d’hiver aka Alice (1981)

Ardeurs d’été aka Ardeurs perverses (1982)

Burning Snow (1982)

Rosalie (1983)

Flying Skirts (1984)

Je t’offre mon corps (1984)

La maison des 1001 plaisirs (1984)

Marilyn My Love (1985)

Mobilhome Girls (1985)

Honeymoon in Paradise (1985)

Desert Lovers (1985)

The Comeback of Marilyn (1985)

Glarner und Deutsche

Last, but not least sei in diesem Kapitel noch auf die besonders mysteriöse Produktionsfirma Monarex aufmerksam gemacht, die in den Siebzigerjahren ebenfalls im Sexfilmgeschäft tätig war und eine wichtige Swiss Connection aufweist. Hauptmotor hinter der Monarex war der Deutsche Christian Nebe, der nach Lehrjahren in den USA Mitte der Sechzigerjahre in die BRD zurückkehrte und dort ins Filmverleihgeschäft einstieg. Zusammen mit dem Glarner Treuhänder Dominik Huser gründete Nebe 1968 die Filmproduktionsgesellschaft Monarex AG mit Sitz in Schwanden GL. Zwei frühe Monarex-Sexploiter waren zum Beispiel 1971 Draculas lüsterne Vampire und Das bumsfidele Häuschen, beide unter der Regie eines gewissen Mario D’Alcala. In die Annalen des Sexfilms eingeschrieben hat sich Monarex aber mit einer ExploitationTrilogie unter der Regie des Italo-Amerikaners Joseph W. Sarno und mit dessen Neuentdeckung aus Schweden, Marie Forsa, als Star. Diese drei Sexfilme, die heute als Klassiker gelten, entstanden 1973 und 1974 in München und in der bayrischen Umgebung. Dominik Huser war nicht nur an deren Finanzierung, sondern auch an der Produktion beteiligt. Auch der spätere Monarex-Schocker Mosquito: Der Schänder (1976) führt den Schweizer in den Credits. Während Huser heute sein Altenteil im Kanton Glarus geniesst, ist Chris D. Nebe als Präsident der Monarex Hollywood Corporation in Los Angeles immer noch aktiv im Filmgeschäft.

Ausgewählte Filme von Monarex:

Hotel Eros – intim (1969)

Der Ritt der Lady Godiva (1969)

Junge Körper – hemmungslos (1971) Rufnummern der Lust (1972)

Heterosexuals (1973)

Der Fluch der schwarzen Schwestern (Joseph W. Sarno, 1973)

Bibi (Joseph W. Sarno, 1973)

Butterfly aka Butterflies (Joseph W. Sarno, 1974)

Black Alley Cats (1974)

The Bullfighters (1974)

The Naked Cage (1986)

Attack at Dawn (1988)

Hot Desire und Desiderata

Es ist höchste Zeit, dass die Historie der Schweizer Sexfilme in ihren mannigfachen Ausprägungen endlich fundiert aufgearbeitet wird. Diese Rekonstruktion ist im Wesentlichen ein aufwändiges Oral-History-Projekt. Die Zeit drängt. In diesem Zusammenhang soll ebenfalls wieder einmal die Notwendigkeit einer umfassenden Öffnung der Bestände der Cinémathèque suisse auch für nichtuniversitäre und nichtprofessionelle Filmhistoriker angemahnt werden. Nur so kann die Forschung durch Wettbewerb und Synergien entscheidend vorangetrieben werden. Dazu gehört auch eine deutliche Aufwertung der Zürcher Zweigstelle des Schweizer Filmarchivs, die zumindest über alle Datenbanken verfügen müsste. Gerne würde man ähnliche Aufrufe zu Kooperation und Öffnung der Archive auch an die Akteure der Schweizer Sexfilmgeschichte selber richten, die sich zum Teil immer noch bedeckt halten.

Dieser Artikel hat versucht, einen einführenden Überblick über die Geschichte der Schweizer Sexfilmproduktion in der Deutschschweiz bis 1986 zu geben. Natürlich würde es uns auch interessieren, etwas von unseren Tessiner und welschen Kollegen über die Sexfilmproduktion in ihren Landesteilen zu erfahren, ganz zu schweigen von rätoromanischen Pornodrehs ... Und: Ja! Es gibt auch heute, im Jahr 2005, eine Schweizer Sexfilmszene. Sie ist winzig klein und hat mit 35-mm-Film nichts mehr zu tun, aber weshalb nicht schon mal mit Dokumentieren beginnen? Statt wieder dreissig und mehr Jahre zuzuwarten.

Daniel Stapfer
geb. 1964, Studium der Geschichte und Germanistik, arbeitet als Berufsfachschullehrer in Zürich. Hobbymässiger Filmfreak. Im Herbst 2006 erscheint von Daniel Stapfer und Benedikt Eppenberger Mädchen, Machos und Moneten – die unglaubliche Geschichte des Schweizer Kinounternehmers Erwin C. Dietrich.
(Stand: 2006)
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