DANIEL DÄUBER

ABSOLUT (ROMED WYDER)

SELECTION CINEMA

Der junge Walliser Regisseur Romed Wyder, der mit seinem Spielfilmerstling Pas de café, pas de télé, pas de sexe im Jahr 2000 für den Schweizer Filmpreis nominiert war, bezieht in Absolut erneut aktuelle gesellschaftliche Machtstrukturen in seine Spielfilmhandlung ein. Entwickelte er in Pas de café ... seine Geschichte ums Schweizer Asylrecht, hinterfragt Absolut die Wirtschaftsmacht westlicher Staaten. Die Kumpel Alex und Fred versuchen den World Leader Summit – eine Art Weltwirtschaftsforum – mit einem Computervirus zu torpedieren. Hohe Politiker und grosse Banken sollen nicht einfach ihre Machtpositionen weiter festigen, sondern auf die Ausbeutung von Unterprivilegierten verzichten. Um sie dazu zu zwingen, will sich Alex als Reinigungskraft in die Interbank Clearing Corporation (ICC) einschleusen und dort Freds digitalen Schädling im firmeneigenen Netzwerk platzieren.

Soweit die Exposition, geradlinig und nachvollziehbar. Erzählt wird das Vorhaben jedoch aus der Sicht von Alex. Der ist gerade aus einem zweitägigen Koma erwacht, nachdem er in einen Autounfall geraten und verletzt worden war. Was er mit Fred vorhatte, daran kann sich der junge Idealist noch erinnern. Aber war er wirklich bei ICC und hat den Virus einschleusen können? Glücklicherweise hat die Klinik, in der er liegt, eine neuartige Therapie entwickelt, um die Gedächtnislücken von Amnesiepatienten zu füllen. Alex wird «verdrahtet», und schon bald kehren erste Erinnerungsfetzen zurück. Diese beunruhigen ihn jedoch zutiefst. Er hat Grund zur Annahme, dass er in ein Komplott verwickelt ist, in dem es um viel Geld, medizinische Versuche und Hintermänner geht, die es auf sein Leben abgesehen haben. Mehr und mehr misstraut er auch den Leuten, die ihm scheinbar helfen wollen.

Wyder zeigt den Zuschauenden immer wieder Teile von Alex’ Erinnerung, wie sich diese auch dem Protagonisten nach und nach erschliessen. Kaum versucht man sie ins lückenhafte Ganze zu integrieren, zieht einem der Regisseur den Boden unter den Füssen weg, indem er das scheinbar Reale als Hirngespinst entlarvt und vice versa. Es gilt, sich ständig neu zu orientieren, sich ein anderes Bild von den Zusammenhängen zu machen. Diese Strategie zelebriert Wyder gerade so oft und so gekonnt, dass es nie absehbar wird. Allerdings stellt er sich damit auch dem Vergleich mit bekannten Vorbildern, wie etwa Memento (Christopher Nolan, USA 2000) oder TheI Inside (Roland Suso Richter, GB/USA 2003). Dann offenbart sich, woran die Schweizer Variante eines Amnesie-Thrillers krankt: Die Inszenierung macht es den Schauspielern zuweilen schwer, wenn die Kamera ohne Schnitte und Einstellungswechsel stur auf sie gerichtet bleibt, auch fehlt in der ersten Hälfte die Musik, welche als Verbindung zwischen den Szenen hätte fungieren können. Insgesamt wird man den Eindruck nicht los, dass Wyder nicht nur thematisch, sondern auch technisch viel vorschwebte, er sich bei der Umsetzung aber ein bisschen übernahm. Absolut will mehr sein, als er wirklich ist – ganz im Sinne seines Themas.

Daniel Däuber
*1966, hat in Zürich Filmwissenschaft studiert, unter anderem für die Schweizer Filmzeitschreiften Zoom und Film geschrieben und arbeitet zurzeit als Filmredaktor beim Schweizer Fernsehen.
(Stand: 2011)
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