Vincent ist ein ehemaliger Preisboxer, der sich seit dem Ende seiner Karriere als Taxichauffeur durchs Leben schlägt. Als geschiedener Vater eines jungen Sohnes befindet er sich privat und finanziell in einer Krisensituation. Sein Leben verbringt er zwischen Hotelzimmer und Wagen; sein Gehalt dient vor allem der Schuldentilgung. Eines Nachts macht ihm eine Kundin, die am Ufer des Genfersees in sein Taxi steigt, jedoch ein attraktives Angebot: Gegen eine grosszügige Bezahlung soll er sie bis nach Kreta begleiten, wo sie mit einem ehemaligen Liebhaber eine Rechnung begleichen will.
Die Reise, die dieser Exposition folgt, konzentriert sich ausschliesslich auf die Beziehung, die zwischen Vincent und Thelma entsteht, ln dieser Hinsicht erweist sich Thelma als klassisches Roadmovie, das dem Duktus des Genres nichts schuldig bleibt. Das Motiv der Verfolgung verleiht dem Film seinen Rhythmus; die Rastlosigkeit der Hauptfigur - hier der fragilen, pathetischen und gleichzeitig imperialen Thelma - resultiert aus ihrem Versuch, mit der Vergangenheit abzuschliessen. Genretreu ist Thelma auch in der Tendenz, die Hauptpersonen von ihrer Umgebung zu isolieren, die vordergründige Handlung von ihrem Hintergrund zu trennen: Weder die Nebenfiguren noch die filmische Topografie - die italienischen Motels, die Hafenanlagen, die populären Kneipen - scheinen eine andere Funktion zu besitzen als jene eines Echoraums, der der Annäherung zwischen Thelma und Vincent die entscheidenden Impulse verleiht.
ln diesem konventionellen Kontext zeichnet sich Thelma über seine Thematik aus - die Frage der körperlichen Identität -, die sich als eigentlicher Schwerpunkt des Films erweist. Thelma ist transsexuell, und die Regieführung weist darauf hin, dass die Bedeutung dieser Tatsache den Rahmen ihrer individuellen Beziehung zu Vincent sprengt. Thelma outet sich nicht selbst, die Wahrheit über ihre sexuelle Identität erfahren wir vielmehr gegen ihren Willen, in einer kurzen Einstellung, die sie, schutzlos und nackt im Badezimmer stehend, dem Betrachter preisgibt. In dieser symbolisch aggressiven Szene, in der Vincents Blick mit jenem der Kamera koinzidiert, lässt Meier kaum Zweifel an der politischen Dimension dieser Enthüllung.
In der Folge scheint sich der spezifische Blickwinkel seines ersten Spielfilms - Meier hat sich bisher vor allem als Dokumentarfilmer und Produzent einen Namen gemacht - allerdings ganz der Logik der Fabel unterzuordnen. Am Ende der Reise, während der sich Thelma nicht nur Vincents Vorurteilen, sondern auch den Gespenstern und den Zeugen ihrer Vergangenheit stellen muss, gelingt es ihr jedenfalls, sowohl ihre Ehre als Frau wiederzugewinnen als auch Vincent von der Attraktivität ihres unversehrten Körpers zu überzeugen.