Wie lebt es sich als Hirte auf Wanderschaft im schweizerischen Mittelland? In Hirtenreise ins dritte Jahrtausend begleitet der Innerschweizer Erich Langjahr den Hirten Thomas Landis und seine Herde über längere Zeit mit der Kamera. Landis, ein Handwerker, der das Kleinbauerndasein als Alternative zum Stadtleben gewählt hat, führt jeweils im Winter die Herde eines Schafzüchters durchs Innerschweizer Alpenrandgebiet. Im Sommer folgt Langjahr Landis, dessen Frau Susanne, die ebenfalls Hirtin ist, deren Kindern und einem zweiten Hirtenpaar, Michel Cadenazzi und Bea Ammann, auf die Alp.
Hirtenreise ist der dritte Teil einer Trilogie, die neben Sennenballade von 1991 auch Bauernkrieg von 1996 umfasst. Mit der Trilogie vertieft Langjahr eine Beschäftigung mit dem bäuerlichen Leben, die über Ex Voto von 1986 bis zu seinen frühen Arbeiten aus den Siebzigerjahren zurückreicht. Langjahr ist indes mehr als nur ein Ethnograf, ein Archivar des Verschwindens bedrohter Lebensformen. Stets geht es in seinen Filmen um Sinnfragen: darum, was das Prekärwerden tradierter Lebensformen für uns zu bedeuten hat. Die Frage «Was ist ein Bauer?», von der die Sennenballade und damit die ganze Trilogie ausging, hat für Langjahr durchaus die Dringlichkeit einer Schicksalsfrage, wie auch der von Pathos nicht freie Titel der Hirtenreise erahnen lässt.
Mehr noch als in Bauernkrieg, einem Film, der unter anderem von der industriellen Bewirtschaftung des Kuhlcibs handelt, macht Langjahr in seinem neusten Film das Zusammenleben von Mensch und Tier zum Schlüsselthema. In Hirtenreise folgt auf die Anfangseinstellung eine Sequenz, die der Einführung des «Personals» dient. Der Wanderhirte schlägt sein Lager auf, kocht und isst. Grossaufnahmen zeigen Handgriffe des Hirten, seine Gerätschaften, sein Gesicht beim Essen, dann auch seinen Schäferhund, den Esel (kauend), und
Schafe, die in die Kamera blicken. Konstatiert John Berger, dass in der Moderne die Menschen den Bezug zu den Tieren verloren haben und der Blick der Menschen auf Tiere im Zoo nicht erwidert wird, so zeigt uns Langjahr eine Welt, in der die Tiere unseren Blick erwidern und mit den Menschen eine Gemeinschaft bilden.
Eine letztlich rückwärts gewandte Beschwörung eines pastoralen Idylls, könnte man einwenden. Langjahr ist indes zu nahe an seinen Figuren, um die Härten und Entbehrungen des Hirtendaseins auszublenden, und damit auch zu nahe, um die Hirtenexistenz umstandslos zum Gegenentwurf zum modernen Leben zu verklären. Ein Leben in einer Welt, in der die Tiere noch unseren Blick erwidern, ist wohl möglich, hat aber seinen Preis: Mehr kann und will der Film nicht sagen. Banal ist das nicht. Es ist ein Befund, der sich nach einer geduldigen, behutsamen Annäherung an Menschen ergibt, die ein solches Leben zu führen versuchen. Langjahr, der wie immer selbst für Kamera und Schnitt zeichnet, unterstützt von seiner Frau Silvia Haselbeck, die zudem für den Ton zuständig ist, gelingt mit Hirtenreise ein visuell eindrucksvoller Film, der seine Trilogie zu einem würdigen Abschluss bringt.