Tombent les masques! spricht den alten Topos von der Filmleinwand als Spiegel des Betrachters an. Nebst der Film- ist auch eine Malerleinwand im Spiel: Hélène Faucherre beobachtet in diesem Doku-Porträt den Lausanner Maler Daniel Frank - wobei auch das Umgekehrte zutrifft: Frank beobachtet die Filmemacherin. Er malt nämlich ausschliesslich Porträts, unter anderem eines von Hélène Faucherre. Diese Porträtsitzungen bilden den roten Faden des Films, der das Dokument von Begegnungen ist. Dabei interessiert sich Faucherre vor allem für das künstlerische Vorgehen Franks: seine Annäherung an die Modelle, seine ruhige, respektvolle Haltung ihnen gegenüber, sein akribisch genauer Blick und seine Pinselstriche als Wiedergabe dessen, was er wahrgenommen hat.
Franks kleines Atelier in Lausanne ist voll von Bildern, die sich formal gleichen: Auf schwarzem Hintergrund sind Gesichter in expressionistischen Farbnuancen modelliert. Etwa zehn der Porträtierten fragt Faucherre, wie und ob sie sich in den Bildern wiedererkennen. Die Modelle vergleichen Fremd- und Selbstwahrnehmung, staunen über unerwartete Aspekte ihres Abbilds, fühlen sich zuweilen befremdet, freuen sich, sind perplex.
Der Maler lernt während der Sitzungen nicht nur einiges über seine Gegenüber, sondern auch viel über seine eigene Wahrnehmung. Er beobachtet sich selbst, ähnlich wie die Kamera, die die behutsamen Pinselstriche und Daniel Franks konzentriertes Gesicht aus nächster Nähe aufmerksam verfolgt. Insofern folgt die Filmemacherin sehr konsequent dem Programm des Malers: Ihre Kamera wird zur Analogie seines Blicks. Aus dem Film- und dem gemalten Bild wird ein Treffen zweier Kunstschaffender, die dasselbe Anliegen - eine Wahrnehmungsstudie - verfolgen und dabei mit verschiedenen Medien arbeiten. Die Schlusssequenz setzt dies auch visuell um: Frank malt Faucherres Gesicht auf Leinwand, sie beobachtet gleichzeitig ihn und seine Arbeit mit der Kamera.
Tombent les masques! erzeugt eine Atmosphäre von grosser Nähe und Intimität, die ästhetisch unterstützt wird durch bewusst karge technische Bedingungen - der Film ist im Kontext von «Doegmeli» entstanden, einer Initiative junger Filmemacherinnen aus der Westschweiz, die sich trotz fehlender Mittel dem Filmemachen mit Haut und Haar verschrieben haben. Sämtliche Aufnahmen in Tombent les masques! stammen aus dem engen Atelier Franks; die Kamera ist immer nahe an den Gesichtern und Gesten und fokussiert die Konzentration der Zuschauer durch die formale Striktheit beinahe meditativ auf die gezeigten Personen. Diese Nähe lässt die Grenze zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Beobachtendem/-r und Beobachtetem/-r, stellenweise verwischen. Die Thematik des Films - Zugang über das Äussere als Mittel zur Erkenntnis des Inneren, des Selbst - wird schon am Anfang verbildlicht, als die Kamera Frank durch sein Atelierfenster betrachtet. Das Äquivalent zur Fenstermetapher, der Trennwand zwischen Innen und Aussen, wäre beim Porträtieren die Maske - die, wie der Titel fordert, im Lauf der Zeit fallen soll.