Dass Dokumentarfilme eine Unmittelbarkeit des Realen durch filmische Strategien erzeugen, dass jede Dokumentation durch subjektive Auswahl- und Strukturierungskriterien bestimmt ist und so ein individueller Blick zur Geltung kommt, gilt als allgemein bekannt und akzeptiert. Nur noch selten - unvermeidlich allerdings beim Betrachten von Bitterfeld, 1992 - drängt sich die grundlegende Frage nach Wahrhaftigkeit und Objektivität filmischer Repräsentation auf. Durch seinen Sprachgestus, der sich einer Sozialismus-kritischen Debatte der letzten Jahrzehnte zu entziehen scheint, reaktiviert und verteidigt der Film über weite Teile einen sozialistischen Jargon, ohne sich einer sprachkritischen Tradition zu stellen.
Bitterfeld, 1992 erzählt die Geschichte des gleichnamigen energie- und chemiewirtschaftlichen Zentrums der DDR, das bereits Ende des 19. Jahrhunderts als Handelsknotenpunkt Bedeutung erlangte. Zu Zeiten der DDR wurde es zur Hochburg wirtschaftlichen Kapitalgewinns ausgebaut und glitt mit den Ereignissen nach 1989 einem schnellen Verfall entgegen. Dokumentiert wird im klassischen Reportagestil: Die Bilder zeigen die Gegend und die Menschen, heruntergekommene Wohnbezirke, desolate, oft ausrangierte Fabrikanlagen sowie die Mondlandschaften des unrentabel gewordenen Braunkohlebergbaus und vermitteln den besonderen Charme industrieller Maschinen und Bauten. Der durch eine sonore männliche Off-Stimme gesprochene Kommentar wird durch Interviewsequenzen ergänzt. Historisch breit abgestützt, steht der wirtschaftliche Zusammenbruch der Gegend im Zentrum. Der Film bezieht deutlich Stellung und bezeichnet die korrupt-kapitalistischen westdeutschen Vorgehensweisen als massgeblich mitschuldig an dieser Entwicklung. Mit faszinierender Radikalität wird einer Gleichgültigkeit gegenüber den politischen Ereignissen in Deutschland entgegengearbeitet, um im Zeitalter der Globalisierung und der unüberschaubaren Verstrickung von Politik und Ökonomie ein politisches Bewusstsein zu mobilisieren.
Die berechtigte Kritik, dass die Bedürfnisse der ostdeutschen Bevölkerung missachtet wurden und der schnelle Profit sowie die schwer zu belegenden spekulativen Machenschaften westdeutscher Financiers zu deren Lasten gingen, wird durch die Reaktivierung sozialistischer Sprachmuster sowie die unüberschaubare Menge an Argumentationssträngen geschwächt. Sie mündet in eine problematische Stellungnahme zur DDR-Politik und verknüpft ohne plausible Argumentation den wirtschaftlichen Untergang der Region, die Resignation und Hoffnungslosigkeit der Bevölkerung sowie den blühenden Rechtsradikalismus mit der westdeutschen Vereinnahmung, der Spekulation und dem treuhänderischen Ausverkauf.