«Brauchen wir wirklich ein wahres Geschlecht?», fragt Michel Foucault einleitend zu seiner Studie über I Icrmaphrodismus und zeigt auf, dass in früherer Zeit die westliche Gesellschaft die Geschlechtszuweisung um einiges flexibler handhabte als etwa in der jüngeren Geschichte. Nun allerdings scheint - vor dem Hintergrund des Gender-Diskurscs sowie der medizinischen Möglichkeiten zur Transsexualität - wieder Bewegung in die starre Dichotomie männlich/weiblich zu kommen. Vermehrt bestimmt das Subjekt selbst sein Geschlecht. Diesem - zunehmend auch spielerischen - Umgang mit der Geschlechtszugehörigkcit widmet die Filmemacherin Gabriel Baur ihren Dokumentarfilm Venws Boyz. Ihr letzter, viel beachteter (Spiel-)Film Die Bettkönigin liegt bereits sieben Jahre zurück - langjährige Recherchen und eine schwierige Finanzierung haben die Fertigstellung ihres neusten Werks bis heute hinausgezögert.
Während die Drag Queens - bis zu den Neunzigern noch «Transvestiten» genannt - sich wachsender Popularität erfreuen, ist nur wenig bekannt, dass auch das gegenpolige Phänomen, die Drag Kings - das heisst Frauen, die als Männer auftreten -, existiert. Ve««s Boyz nun taucht in die Drag-King-Szene von New York und London ein, lässt Persönlichkeiten dieser etwas anderen Performance-Welt zu Wort kommen, zeigt die attraktiven Frauen bei ihren Verwandlungen und ihren Auftritten als hübsche Latino-Boys, coole Rapper oder pomadisierte «white collars». Bridge Markland beispielsweise liebt es, ihre beiden Seiten auszuleben: als Vamp im glitzernden Paillettenkleid ebenso wie als kahlköpfiger Antiheld. Oder Diane Torr - bereits als «Daddy» der Drag Kings tituliert - verwandelt sich auf der Bühne live und sucht mit ihrem Kommentar zu geschlechtsspezifischem Aussehen und Auftreten die gesellschaftlichen Stereotypen zu dekonstruieren. Oder Del LaGrace Volcano, Hermaphrodit, spritzt sich Testosteron, um einen männlicheren Körper zu erhalten, tritt aber gleichzeitig wieder als Drag Queen auf. Sie alle erzählen von ihrem Spass am gleitenden Rollenwechsel - auf der Bühne, aber auch im Privaten. Sie rufen, teils auch schmerzhafte, Erinnerungen wach an früher - Stationen auf dem Weg zu ihrem heutigen Selbstverständnis. Im Vordergrund steht nicht die Konfliktfläche mit der Norm, sondern ein neues, fliessendes Bewusstsein, in dem sämtliche Zwischenstufen physisch-psychischer Identität möglich sind.
Die formale Umsetzung unterstreicht das Verwischen festgesetzter Realitäten zusätzlich: Eine originelle und doch unaufdringliche Kamera hat viel Atmosphärisches zwischen Stadtalltag und Showauftritten eingefangen. Die Postproduktion lässt die Konturen in kadenzierter Slowmotion zu Farbstrukturen und -feldern gerinnen und schafft malerisch-poetische Bildqualität. Verspielt gibt sich auch die Montage, die das Ganze zu einem leichten, luftigen Gewebe fügt. Das schillernde InBetween, in dem sich die Befragten bewegen, ist von unwiderstehlicher Faszination. Die lyrische Form und die respektvolle Nähe zu den Interviewten lässt den oberflächlichen Voyeurismus jedoch aussen vor. Venus Boyz nutzt vielmehr die Ausstrahlung der Porträtierten und das verführerische Potenzial ihrer Maskeraden für eine Reflexion einengender zivilisatorischer Normen, in der sich Foucaults Frage von selbst beantwortet.