«Um ein Haar wäre Annemarie Schwarzenbach vergessen worden», meint die Germanistin Sabine Ferner zu Beginn des Films. Eine Gefahr, die umso grösser ist, je unbequemer Zeitgenossinnen sind. Und Schwarzenbach war unbequem: als Intellektuelle und Bohémienne, als Homosexuelle und Drogensüchtige, als politisch engagierte Stimme. Mit ihren glühenden antinazistischen Artikeln ging sie nicht nur aut Konfrontationskurs mit ihrer nazifreundlichen Familie. Sie hielt auch der mit dem Führertum liebäugelnden Schweiz einen (entlarvenden) Spiegel vor. Die Folgen: Ihre Texte wurden nicht mehr publiziert, und nach ihrem frühen Tod vernichteten Mutter und Grossmutter Tagebücher und Korrespondenz, um die persönlichen Spuren des zeitlebens unangepassten Sprösslings auszulöschen.
Schwarzenbachs Wiederentdeckung setzte 1987, fünfundvierzig Jahre nach ihrem tragischen Unfall, mit der Neuauflage ihres Romans Das glückliche Tal ein. Seitdem folgen sich in immer kürzeren Abständen Reeditionen ihrer Werke und Reportagen sowie ihrer Fotografien. Nun ist ihr auch ein erstes filmisches Porträt gewidmet. Garole Bonstein hatte das Projekt schon begonnen, als ihr der Historiker und Grossneffe Schwarzenbachs, Alexis Schwarzenbach, einen sensationellen Fund im Familienarchiv mitteilte: fünf Stunden 16-mm-Film- material, das die grossbürgerliche Seidenfabrikantenfamilie im Privaten, aber auch im Kreise gesellschaftlicher Anlässe zeigt und ihr herrschaftliches Anwesen in Bocken über dem Zürichsee vorführt.
Diese Aufnahmen stehen nun im Zentrum von Une Suisse rebelle. Sie werden ergänzt durch Reenactments - vor allem in Rostrot getauchte Schreibszenen, die den Zitaten aus Schwarzenbachs Schriften unterlegt sind - und Statements von Fachleuten sowie persönlichen Bekannten. Die subtile biografische Collage rückt dabei vor allem zwei Facetten von Schwarzenbachs Wesen und Schaffen ins Ficht: einerseits ihr schriftstellerisches Werk, das ihr von Melancholie und Todessehnsucht überschattetes Leben widerspiegelt. Andererseits ihre politischen Stellungnahmen und Reportagen - als Feministin über die Frauen in Afghanistan, als Klassenkämpferin über die Schwarzen in Amerika, als frühe Mahnerin im eigenen Fand gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus. Dazu fügt sich ein Bild der dramatischen Familienkonstellation mit der dominanten Mutter Renée Wille von Bismarck, deren Einfluss Schwarzenbach sich nie zu entziehen vermochte.
Besonders spannend erweist sich allerdings ein ikonografischer Aspekt: Schwarzenbachs androgyne Schönheit war viel bewundert. Ihre Freundin und Fotografin Marianne Breslauer beschreibt sie als engelhafte Figur, die nicht zuletzt auch an dieser ihrer Erscheinung - und den daran geknüpften Erwartungen - scheiterte. Ihre ikonenhaften Porträts zeigen eine selbstsichere, faszinierende, narzisstische Frau. Dem stellen sich nun die Amateurfilmbilder entgegen: Dort entpuppt sich Schwarzenbach als eher unsichere, mädchenhafte Gestalt, die etwas linkisch im luftigen Unterkleid Posen des experimentellen Tanzes übt oder sich befangen im Gedränge eines offiziellen Empfangs auf Bocken tummelt. So eröffnen die bewegten Bilder eine ganz andere Persönlichkeit, die aber - auf dem Hintergrund von Schwarzenbachs Romanen und Biografie - wohl eher ihr wahres Wesen wiedergeben.