Seit den Achtzigerjahren, als Santiago Calatrava durch Bahnhofshauten in Luzern und ZürichStadelhofen bekannt wurde, zählt er zu jenen erfolgreichen Baukünstlern, deren Werke in verschiedenen Ländern entstehen. Zu einer Ausnahmeerscheinung macht ihn dabei seine Doppelbegabung und -ausbildung als Architekt und Ingenieur. In seinen Entwürfen orientiert sich Calatrava an organischen Strukturen von Bäumen, aber auch von Knochen, die er sich an seinem Arbeitsplatz in Form eines menschlichen Skeletts vor Augen hält. Stets ist er jedoch von der Einsicht getragen, dass die unbestrittenen Eormqualitäten solcher Vorbilder nicht erreicht werden können - «der Baum ist immer viel besser», so eine seiner aufschlussreichen Äusserungen im Film.
Christoph Schaubs Porträt gibt einen gültigen Einblick in Calatravas Denken, seine Arbeitsweise und seine Bauten. Wie schon bei Il girasole - una casa vicino a Verona (1995), dem gemeinsam mit dem Architekten Marcel Meili realisierten filmischen Essay über ein Wohnhaus aus den Dreissigerjahren, ist Schaub in Zusammenarbeit mit dem Kameramann Matthias Kälin auch hier darauf aus, die Wahrnehmung von Architektur im Akt der Betrachtung zu ermöglichen: Die schieren Dimensionen und, vor allem, die räumliche Komplexität von Calatravas Werken sind anders als in ruhigen Aufnahmen und langen Einstellungen kaum adäquat zu vermitteln. Gerade dann, wenn die Bewährung der Bauten - meist eigentliche begehbare und befahrbare Plastiken, für deren Zeichenhaftigkeit und monumentale Wirkung die Versinnbildlichung statischer Kräfteverläufc eine wesentliche Rolle spielt - im alltäglichen Gebrauch mit im Zentrum stehen soll.
Zwei gegenläufige, jedoch untrennbar miteinander verknüpfte Aspekte treten hervor: jener des zurückgezogen schaffenden Künstlers und jener des Unternehmers, der neben dem Firmenhauptsitz in Zürich noch Zweigstellen in Valencia, nahe seinem Geburtsort, und in Paris unterhält. Diese sinnfällige duale Sichtweise ist in eine den ganzen Film durchziehende Parallelmontage zweier Bildarten überführt. Betörend schön sind die Ansichten der gebauten Resultate - auch wenn der Rhythmus der Montage bisweilen gar getragen ist -, ergänzt durch Aufnahmen, die den Künstler Calatrava beim geduldigen Zeichnen in der Abgeschiedenheit der Wohnung zeigen. Kontrastierend zu diesen Sequenzen von hoher fotografischer Qualität sind grobkörnige Videoreportagen darüber eingestreut, was zeitlich zwischen Skizze und Fertigstellung geschieht: ein unstetes Unterwegssein, währenddessen sich der Unternehmer Calatrava mit den Mitarbeiterinnen in den Zweigstellen bespricht, auf die Baustellen geht und Kontakte mit Bauherrschaften pflegt.
Der einfühlsamen Binnensicht fehlt im Gegenzug eine kritische Distanz. Ein durchaus belangvoller Aspekt, zumal Calatravas erfrischend unschweizerisches Werk in der Architekturfachwelt nicht unumstritten ist, was die bisweilen unmotivierte Expressivität seiner Entwürfe, ihre betonte Eleganz und Monumentalität betrifft. Wesentlich scheint aber vor allem, dass nicht alle seine Arbeiten gleichermassen gelungen sind. Gerade weil sich der Film an ein breites Publikum wendet, hätte man sich hier weiter gehende Differenzierung und Argumentation gewünscht. Doch wird im exemplarischen Herausgreifen von persönlich geprägten kreativen Prozessen, die zu guten Bauten führen, wie nebenbei die Notwendigkeit vorgeführt, dass solche Bauten entstehen.