Klondike, dieser Flussname klingt noch immer, obwohl seit den sagenhaften Goldfunden im Yukon-Gebiet zwischen Kanada und Alaska mittlerweile über hundert Jahre vergangen sind. Hans-Ulrich Schlumpf spürt dem grossen Fieber nach: alte Aufnahmen von Neuankömmlingen, Bilder aus Chaplins Goldrush und verfallene Holzschächte um die Geisterstadt Dawson lassen Schweiss und Hoffnung von Hunderttausenden Desperados aus der ganzen Welt erahnen.
Auf den zweiten Blick ist Dawson gar nicht so verlassen: Junge Damen führen in Kleinbussen Touristen herum und schwärmen vom Zusammenhalt der kleinen Gemeinde in harten Wintern. Im Umland frönen Busladungen von Senioren der Nostalgie und versuchen Gold in auf alt getrimmten Normtrögen zu waschen. In der Fassade des verrammelten Masonic Temple, der alten Stadtbibliothek, nisten unzählige Schwalben, die das Gebäude im Laufe der Jahrzehnte mit ihrem eigenen organischen Stuck umgestaltet haben. Diesen magischen Ort wählt Schlumpf als Basis für eine Enquete in Geschichte und Gegenwart der Goldsuche. Mit den Schwalben steigt seine Kamera auf und fängt entrückt schöne Bilder einer geschundenen und mitunter abstrakt wirkenden Landschaft ein: Regelmässige rundliche Kieswälle sind die Hinterlassenschaft riesiger Goldwaschmaschinen, die sich seit den Zehnerjahren durch die Täler frassen und die fiebernden Handwäscher verdrängten. Bereits um 1900 wurden fast alle «claims» von Grossunternehmern übernommen.
Wie gewaltige Würmer verschlangen die Bagger das Erdreich und filterten das wenige Brauchbare heraus, um den Rest auszuwerfen. Heute sind deren Überreste beliebte Touristenattraktionen. Ein Schweizer, der auf einem solchen Ungetüm arbeitete, lässt seinen ohrenbetäubenden Arbeitsalltag aufleben. In den
Sechzigerjahren schmälerten die sinkenden Weltmarktpreise die Erträge, die industrielle Goldsuche wurde eingestellt. Seither graben einige Unentwegte auf eigene Rechnung mit modernsten Mitteln weiter. Von Goldfieber ist nichts zu spüren. Pragmatisch und effizient funktioniert das Tagwerk in diesen abgelegenen, meist von Familien geführten Betrieben. Schlumpf verfolgt Schritt für Schritt die unspektakuläre und harte Arbeit. Mit einer stringenten Beiläufigkeit und gestalterischer Fantasie beleuchtet er die verschiedenen Facetten der Goldsuche. Graben, schlagen, sortieren, auswaschen: Die Arbeit im Erdreich hat es Schlumpf angetan, wie seine kontemplative Dokumentation Guber – Arbeit im Stein (1979) schon vor Jahren zeigte. Ohne vorgefasste Sichtweise akribisch zu beobachten und gleichzeitig eine sehr persönliche Handschrift zu pflegen: Das gelingt ihm auch in Die Schwalben des Goldrausches. Seine kurzweilige und anregende Kulturgeschichte des Goldsuchens oszilliert zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem, zwischen sch weissgetränkter Erdenschwere und traumhaftem Schweben, zwischen Mythos und Realität und vereint Information und Poesie.