Welch prekären Status Gastarbeiter und Asylbewerber in der Schweiz haben, ist hinlänglich bekannt. Der Lausanner Dokumentarfilmer Fernand Melgar, als gebürtiger Spanier mit Geburtsort Tanger selbst vertraut mit der Erfahrung des Fremdseins in der Schweiz, schlüsselt in Classe d'acceuil das schwierige Leben dieser bloss geduldeten Ausländer aus einem neuen Blickwinkel auf, nämlich von der Situation der mitbetroffenen Kinder her. Er hat über einen längeren Zeitraum eine Einschulungsklasse in Crissier begleitet, die neben den Kindern portugiesischer und türkischer Gastarbeiter vor allem von Flüchthngskindern aus Bosnien besucht wird.
Melgar konzipiert seine knapp einstündige Fernsehproduktion als Abfolge von Porträts, doch findet er eine dramaturgische Struktur, mit der es ihm gelingt, Monotonie in der Behandlung der Einzelschicksale zu vermeiden. Melgar und seine Equipe begleiten die Klasse auf einem Ausflug in die Walliser Alpen. Die Montage löst in der Folge die Schüler einzeln aus der Wandergruppe heraus und bereitet so die Porträtsequenzen vor. Daraus entsteht eine mehrschichtige Erzählstruktur. Der Alpausflug bildet den Spannungsbogen, dessen Abschnitte jeweils von Originalmusik und von Aussagen der Lehrerin über die Schwierigkeiten und Probleme ihrer Arbeit begleitet werden. Die letzte Szene des Films, welche die Klasse am Lagerfeuer in den Bergen zeigt, bildet zugleich den Abschluss dieses Bogens. In nüchternem Kontrast dazu stehen die eigentlichen Porträtepisoden, die dem Verlauf eines ganzen Schuljahres entstammen.
Classe d'acceuil ist, ähnlich wie Campagne perdue von Stephane Goel, Melgars Partner bei der Produktionsfirma Climage, eine dramaturgisch ausgereifte Langzeitreponage, die zu einem relevanten Thema Stellung bezieht, ohne sich in Polemik zu verlieren. Insbesondere die Schwierigkeiten der Schüler, ihre kulturelle Identität zu definieren, vermag Melgar mit Interview-Passagen, aber auch mit Bildaussagen einleuchtend darzustellen, wobei er auch das Klischee nicht scheut, wenn er etwa einen bos nischen Jungen in einer tänzerischen Bewegung vor dem Alpenfirmament zeigt. Gleichwohl eine vielversprechende Arbeitsprobe eines Dokumentarfilmschaffens, das dem Gestus des flüssigen Erzählens verpflichtet ist.