DORIS SENN

MÄNNER IM RING (ERICH LANGJAHR)

SELECTION CINEMA

„D’Landsgemeind isch öppis schöös.“ Mit Bangen sehen die Anwohnerinnen und Anwohner des Landsgemeindeplatzes in Hundwil (AR) der fünften Abstimmung über die Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler Ebene entgegen (1989). Langjahr hat sie bei ihrem Tagwerk gefilmt, sie über ihre Arbeit und den Landsgemeindetag erzählen, zu der umstrittenen Abstimmungsvorlage Stellung nehmen lassen. Das Stimmungsbild, das dabei entstanden ist, ist geprägt von leiser Resignation gegenüber einer weiteren Forderung der neuen Zeit, die unaufhaltsam die althergebrachte Ordnung zu überrollen scheint. Nebenher und im Stillen müssen auch die Inhaberinnen des Gemischtwaren- und des Mercerieladens (gleichzeitig Papeterie, Apotheke und Krankenkassenbüro) ihren Tribut an die gesellschaftliche Entwicklung leisten: Ihre Geschäfte — ehemals wichtige Elemente der dörflichen Struktur - stehen vor ihrer unwiderruflichen Schließung.

Um den Landsgemeindeplatz dreht sich der ganze Film: Die Frauen der angrenzenden Häuser räumen die Zimmer leer, um die Fenster an zugereiste Schaulustige als Aussichtsplätze vermieten zu können, die Wirtin der „Harmonie“ stellt sich auf einen „strengen“ Tag ein, der Bäcker bereitet die Biber und der Metzger die Würste für den anstehenden ‚Vatertag’ - wie der Landsgemeindesonntag auch genannt wird - vor. Das Herrichten der Wiese für den Versammlungstag, das Aufstellen des ‚Stuhls’ - das Regierungspodest -, die Organisation der Ordnungskräfte, der Musik sowie die Installation der Medien, die sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen wollen, hat Langjahr minutiös dokumentiert. Für den Landsgemeindetag wird die Integrität des Platzes wiederhergestellt, der Verkehrsstrom, der normalerweise die Kulisse der schmucken Appenzellerhäuser mit brausendem Lärm durchfährt, für die Dauer der Versammlung umgeleitet.

Eindrücklich dann das Bild des sich mit ‚Stimmvolk“ füllenden ‚Rings“, der Männer, die mit ihren Säbeln dich an dicht stehen, das Meer von Händen, das sich bei den Abstimmungen in die Höhe erhebt. Zur entscheidenden Frage gekommen, ist das Verhältnis der Stimmenden kaum ‚auszumehren“, und wohl zu Recht bleibt bei den Gegnern die Vorlage der Verdacht zurück, daß der Landammann der zwingend gewordenen Entscheidung für die Annahme des Frauenstimmrechts etwas nachgeholfen hat.

Ohne Polemik sind die Stellungnahmen der Befragten — deren Monologe zwar häufig etwas hölzern daherkommen —, und ebenso unpolemisch ist die Kameraführung, die auf Distanz bleibt, die Porträtierten nicht bedrängt. Der Film wertet nicht; ein- und überleitende Kommentare des Regisseurs, der immerhin andeutungsweise auch die feinen Risse im scheinbar intakten Weltbild, in das sich der ursprüngliche und liebgewonnene Usus einfügt, miteinbezieht, fehlen. Allerdings distanziert sich der Film folglich ebensowenig von dem Hauch von Nostalgie, mit dem die meisten der Befragten dieses politische Brauchtum umgeben und dem Gefühl resignierter Kapitulation vor dem befürchteten zentralistischen Eingriff in „ihre“ Tradition („Wenn’s Frauestimmrecht chunnt, isch’s nüme s’gliich“), ohne zu berücksichtigen, daß die Bewahrung „hergebrachter Formen“ die Diskriminierung der Frauen nicht rechtfertigen kann und vielleicht gerade sie es sind, die diese Form der direkten Demokratie vor dem Anachronismus bewahren und verhindern können, daß das Versammlungsritual gänzlich zur Folklore verkommt (die Landsgemeinde wird auch nach der Annahme des Frauenstimmrechts weitergeführt - mit Beteiligung der Frauen). Männer im Ring beschließt nach Morgarten findet statt (1978) und Ex voto (1986) Langjahrs Trilogie ethnographischer Filme, die sich mit Heimat, Tradition und schweizerischer Identität auseinandersetzen.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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