MARKUS JAKOB

AUS LOCKHEED’S MÜLL

CH-FENSTER

Nachdem Urs Egger seinen Film in Los Angeles uraufgeführt hatte, stürmten die ersten Gratulanten auf ihn zu. Ein Landsmann kleidete seine Begeisterung in die Worte: «Sie zeichnen ein Bild dieser Stadt, das ganz beiläufig ganz genau ist. Aber ob auch die Amerikaner es verstehen können?» Gleich danach klopfte ein Amerikaner ihm auf die Schulter. «Einfach wunderbar. Ich zweifle nur, ob die Schweizer den Film verstehen werden.»

Dass Egger seinen zweiten Anlauf nach den flügellahmen Eiskalten Vögeln im Untertitel als «Film über die Stadt Los Angeles» bezeichnet, ist Understatement. Der Betrachter wird aber der Irreführung bald inne. Bei sich verwendet der an der Filmakademie in Hollywood ausgebildete Regisseur für Go West, Young Man! jetzt den Ausdruck «Dokudrama», hanebüchen klingendes amerikanisches Fachwort: Das Drama ist eine Komödie, und das Dokumentarische, mittels dessen dem Zuschauer gewisse Stimmungen jener Stadtschaft anfangs auch kommentierend nähergebracht werden, verliert sich allmählich in der Erzählung, die sich ihrerseits aus dem Dokumentarischen und aus den Zufallsbekanntschaften des erstmals amerikanischen Boden betretenden Schweizers Hans herausschält.

Dieser auf LAX landende Hans hiess in der Wirklichkeit des Jahres 1975 natürlich Urs, und Egger. Der Eklektiker seiner Autobiographie spielt ihn auch selbst. Wir feiern die Entdeckung eines komischen Talents: Artig, schlaksig, scheu, aber neugierig, erforscht er, vorerst von der grenzenlosen Vertrautheit eines Holiday-Inn-Zimmers, später von seinem Apartment aus, dessen Fensterausblick bald nachbarschaftliche Merkwürdigkeiten enthüllt, die unbekannte Welt, deren Scheinhaftigkeit er vergnügt entdeckt und daran durch den Eklektizismus seines Films nun teilhat.

Mit dem Kauf eines T-Birds macht er sich mobil und reiht sich ein in die Ritterschaft der Freeways und Car-Stereos. Daheim sieht er fern, aber eigentlich mag er nur Johnny Carson.

Go West, Young Man! verlockt dazu, ihn schildernd in seine Sequenzen zu zerlegen, weil fast jede ein Juwel ist. Und es wäre von den Farben zu sprechen, zu schwärmen, und von der Anders- und Einzig-Artigkeit des Films im Rahmen des Schweizer Filmschaffens: Eine Leichtigkeit zeichnet ihn bei aller handwerklichen Genauigkeit aus, die ihn zum Glücksfall macht.

Die Fäden der Handlung laufen — wie man so sagt, es aber selten zu sehen bekommt — geradlinig zusammen zum Finale in kosmischem Gelächter: Es fliegt Jonathan, der kleine Raketenbauer, mit seiner aus den Müllcontainern der Weltraumfirma Lockheed geklauten und gebastelten silbernen Zigarre tatsächlich hoch hinaus über den Pazifik, «all the way to China». Die Flugeffekte besorgte die Firma New Hollywood, Inc.

Dieses Spektakel, zu dem noch einmal alle Hauptfiguren des Films sich einfinden - der liebenswürdige Dr. Carl Vandam, das Marilyn-Monroe-Lookalike, Mrs.Robbins, dieMutter des Raketenbauers - ist der ironisch verdinglichte Aphorismus, laut dem in Kalifornien religiöses Sektierertum blüht, weil seine Bewohner den ganzen Weg nach Westen gezogen sind, bis an die unüberwindliche Grenze des Pazifiks: da geht’s nur noch up up and away.

«Das Hotelzimmer sah aus wie wohl alle Holiday-Inn-Zimmer dieser Welt. Mir gefiel das. Wo immer man sich befinden mag, man ist in einem bekannten Raum, von dem aus sich das Unbekannte draussen unbeschwerter anschauen lässt», heisst es im Film.

Nach der Aufführung an den Solothurner Filmtagen überreichte ein formgewandter Herr Urs Egger seine Karte: Marketing director, Mövenpick-Holiday Inn. Der Konzern würde sehr gerne seinen Kaderleuten den Filmvorspielen. - Wer nicht dazugehört, kann am 8. Juni 1981 um 21 Uhr das Schweizer Fernsehen einschalten.

Young Man, Go West. P, B und R: Urs Egger; P’leitung: Michael Puützer, Jr.; K: Timothy Suhrstedt; T: David Brownlow; Ausstattung: Margareth Goldsmith; Sch: Daniela Roderer; D: Urs Egger, Carel Struycken, Linda Kerridge, Chris Surprenant, Doug McAdoo, Catherine Alexander, Michael Andrews u. a. 16 mm, Farbe, 44 Minuten

Markus Jakob
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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