JON HALLIDAY

ALL THAT HEAVEN ALLOWS

ESSAY

Erst seit kurzem1 setzt sich die Kritik ernsthaft mit Douglas Sirk auseinander In den letzten Jahren sind zahlreiche Schriften erschienen, die sich mit den verschiedensten Aspekten seines Werks befassen; einer der wichtigsten Aspekte jedoch, Sirks Verhältnis zum Melodrama, ist bis anhin kaum beachtet worden. Sirk hat diesen Genre immer wieder gewählt, sowohl während der Zeit von 1935-1937 in seinen deutschen Spielfilmen als auch in seiner zweiten amerikanischen Periode (1950-58), als er bei Universal unter Vertrag stand.

Zwei Gründe, warum Sirk von der Kritik so vernachlässigt wurde, liegen klar auf der Hand. Der erste ist die fast völlige Unkenntnis seiner künstlerischen Entwicklung während der Weimarer Republik; der zweite ist, dass sogar seine Bewunderer es immer wieder unterlassen haben, die ganz besonderen Produktionsbedingungen, denen er unterworfen war, hinreichend zu berücksichtigen. Sirk ist ganz gewiss ein «Auteur», aber ein «Auteur» der keineswegs unter idealen Bedingungen arbeitete und nur die wenigsten seiner Projekte verwirklichen konnte. Da auch All That Heaven Allows nicht sein eigenes Projekt ist, eignet es sich ganz besonders als Studienobjekt, weil hier die Problematik von Sirks Tätigkeit in Amerika deutlich zum Ausdruck kommt.

Das Melodrama

Nach seinen ersten, schwierigen Jahren (1939-1948) in Amerika, in denen er grösstenteils bei Columbia arbeitete, unterschrieb Sirk 1950 schliesslich einen Vertrag mit Universal und blieb dort bis 1958/59. Sein erster kommerzieller Grosserfolg war Magnificent Obsession mit Rock Hudson und Jane Wyman, produziert von Ross Hunter. Lloyd C. Douglas schrieb die unmögliche aber wirkungsvolle Story, die bereits in den dreissiger Jahren von John Stahl verfilmt worden war. Sirks Version würde eine eingehende Studie verdienen, da sie vielleicht mehr als die übrigen Filme den zweischichtigen Aufbau, der sich in fast allen seinen für Ross Hunter inszenierten Filmen findet, erkennen lässt. Wichtig ist hier jedoch nur, dass All That Heaven Allows von den Studioleuten ausgeheckt wurde, um vom Überraschungserfolg von Magnificent Obession zu profitieren. Produzent ist wiederum Ross Hunter, die Besetzung ist dieselbe (Rock Hudson, Jane Wyman, Agnes Moorehead). Auch die Motive sind ähnlich, vor allem Jane Wyman als ältere, verwitwete Frau, die sich in einen jüngeren Mann verliebt.

Im Gegensatz zu Magnificent Obsession, das eine starke, klar strukturierte Story hat, ist diejenige von All That Heaven Allows sehr vage, eigentlich kaum der Rede wert. Aber gerade diese Vagheit und Unstrukturiertheit (die das Ergebnis rein opportunistischen Handelns ist) gibt Sirk den Freiraum, den er braucht. Von der Thematik her ist Heaven viel reichhaltiger als Obsession; stilistisch gesehen viel besser integriert, (auch wenn Obession ein paar hervorragende Momente hat).

Die Würdigung Sirks hat sich in der Regel darauf beschränkt, ihn entweder als stilsicheren Regisseur (Andrew Sarris, Cahiers du Cinéma) oder dann als Meister der «Schnulze» zu deklarieren. Nun besteht kein Zweifel, dass er ein hervorragender Stilist ist (er war ja unter anderem auch Maler) und dass er die «Schnulze» wie kein anderer beherrscht hat — nur, er war an der Schnulze gar nicht interessiert. Sein mangelndes Interesse für diese Gattung ist ebenso wichtig wie die Tatsache, dass er sie beherrscht hat. Beide Kategorisierungen reichen nicht hin, um das Besondere an den Sirk-Filmen zu erklären. Sirks Filme für Universal sind, mit ganz wenigen Ausnahmen, aus verschiedenen Elementen zusammengesetzte Produkte und müssen deshalb auch als solche betrachtet werden. Auf der einen Seite sind sie das Ergebnis der spezifischen Anforderungen des Studios und tragen den Wünschen und Phantasien von Produzenten wie Ross Hunter — der seine Ideen von Schauspielern wie Jane Wyman, Rock Hudson, Lana Turner und Sandra Dee verkörpern Hess — Rechnung; auf der anderen Seite sind sie dennoch Sirks eigene Produkte mit der Kameraarbeit von Russell Metty (oder Irving Glassberg).

Dieses Element der Vielschichtigkeit als direkte Folge von Studio- und Produzentenanforderungen, verknüpft sich hier mit der Wahl des Genres, in diesem Fall des Melodramas. Soviel ich weiss, gibt es noch keine ernsthafte Untersuchung über dieses Genre. Der Begriff «Melodrama» allein deutet schon darauf hin, dass es sich um eine Zusammensetzung, ein Kompositum handelt. Man assoziiert mit dem Wort gemeinhin Gemütsbewegung und Gefühl (oder Gefühlsduselei). Die Gattung ist sowohl im Film als auch in der Literatur sehr verbreitet. Dass diese Gattung beim Publikum sehr beliebt ist, ersieht man allein schon an der Zahl solcher von Universal hergestellten Filme. Auch Sirk fühlte sich zu dieser Gattung hingezogen, seine Vorstellungen deckten sich jedoch nicht mit denjenigen des Studios und des Produzenten Ross Hunter. Sirk war von der Massenwirkung solcher Filme fasziniert. Er war auch fasziniert von den Möglichkeiten, die ihm das Melodrama bot, etwas über das heutige Amerika auszusagen. In seinem Fall traf es tatsächlich zu, dass diese Gattung ihm am ehesten erlaubte, einen kritischen Kommentar zu der Gesellschaft, in der er lebte und arbeitete, anzubringen.

Zurzeit, als Sirk bei Universal arbeitete, Hess es sich die amerikanische Bevölkerung unter Präsident Eisenhower Wohlergehen. Die Gesellschaft war schon in Auflösung begriffen, aber an der Oberfläche war noch nichts sichtbar. Die selbstgefällige Haltung der Regierung in Washington wurde von Unternehmern wie Ross Hunter in Hollywood enthusiastisch geteilt. So kam es, dass die Gesellschaft das Melodrama geradezu förderte und als seine ureigenste Gattung in Anspruch nahm. Für Sirk jedoch war es gerade das Melodrama, welches ihm eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Gesellschaft erlaubte, und zwar unter einem historischen Blickpunkt. Nur hier war es möglich, zeitkritische Betrachtungen anzustellen. Eine Gesellschaftsanalyse, welche wiederum den eifrigen Förderern dieser Gattung verborgen blieb. Auf den ersten Blick hin hatte Ross Hunter seine «Schnulze» mit dem bewährten Duo Jane Wymann-Rock Hudson durchaus bekommen, ein selbstgefälliger, anpasserischer Film ganz nach seinem Geschmack. Aber unter der glatten Oberfläche wird Sirks vehementer Angriff auf kleinbürgerliche Mentalität manifest — ein Angriff, der nicht nur aus Rücksicht auf Studios und Produzenten «abgedrängt» worden, sondern auch von Sirk bewusst in dieser Form gewählt worden war.

Sirk hat ziemlich ausführlich darüber gesprochen, dass eine Gesellschaftskritik in notwendiger Distanz zur Geschichte angebracht werden müsse, um noch kinowirksam (oder bühnenwirksam) zu sein. Er verweist dabei auf so grosse Dichter wie Euripides, Shakespeare, Calderon, Lope de Vega, Möllere und Tschechow. In einer Gesellschaft wie der amerikanischen unter Eisenhower darf man nicht zu deutlich werden. In einer Gesellschaft wie derjenigen in der Weimarer Republik konnte man explizit werden, und Sirk hatte dies mit Bühneninszenierungen wie Blumes Im Namen des Volkes (die sich mit dem Fall Sacco und Vanzetti befasste) auch getan. Anders ausgedrückt: Obwohl ihm die Form des Melodramas vom Studio aufgezwungen wurde, war es gleichzeitig auch die Form, die Sirk angesichts der bestehenden Situation am zweckmässigsten erschien.

Unsere kleine Stadt

Schauplatz von All That Heaven Allows ist eine kleine Stadt in New England, eine Gegend, die der Ausgangspunkt des «aristokratischen» Amerika (weisse, protestantische Angelsachsen) war. Hier setzte die amerikanische Geschichte der Gegenwart ein und hier geriet sie auch auf die schiefe Bahn. New England war aber auch zu jener Zeit (1955) die Gegend, in der man sich wahrscheinlich am wenigsten klar darüber war, dass sich die amerikanische Gesellschaft im Umbruch befand. Thoreau und Emerson stammten aus dieser Gegend. Sirk hat in All That Heaven Allows die Geschichte der unterschwelligen Zersetzung einer Gesellschaft eingebaut.

Jane Wyman ist in diesem Film Witwe und Mutter von zwei Kindern, die beide im Sekundarschulalter sind. Man erfährt, dass ihr kürzlich verstorbener Mann ein wohlhabender Bürger dieser Kleinstadt gewesen war. Sie lebt mit ihren Kindern in einem weiss gestrichenen Holzhaus mit Garten. Rock Hudson ist der Gärtner des Orts, ein unabhängiger Geschäftsmann, der aber noch handwerkliche Arbeit verrichtet. Hudson und seine Bäume symbolisieren sowohl Amerikas Vergangenheit wie auch seine Ideale. Es sind Ideale, die nun unerreichbar scheinen und die, sobald sie tatsächlich greifbar werden, von Jane Wymann und ihren Freunden, die für sie ja nur das Beste wollen, rasch zurückgewiesen werden. Denn die Gesellschaft hat sich in der Zwischenzeit von der Vergangenheit und ihren Idealen entfremdet. Sie ist festgefahren und kann nicht einmal ihre eigene Ideologie bewältigen.

Sirk richtet nun seinen Blick auf eben diese Gesellschaft und offenbart sowohl ihre Isolation wie auch ihre Schwierigkeiten im Umgang mit unerreichbaren Idealen. Rock Hudsons Welt ist vergleichsweise harmlos: sie lässt sich mit Gärtnerarbeit, Bäumen und einem alten Stationswagen skizzieren. Er führt ein freies, unbeschwertes Leben, Wein und Lobster werden auf einem hübsch karierten Tischtuch serviert, er singt, geht tanzen und hat nette Freunde. Jane Wymans Welt hingegen ist weitaus komplexer.

Die Stadt wird uns erstmals von Kirchturm aus vorgeführt und erinnert an eine Szene in Zu neuen Ufern (1937), in welcher Pararoatta, eine britische Strafkolonie in Australien, wohin die Heldin verschickt worden ist, ebenfalls von der Turmspitze aus gezeigt wird (während man die Stimmen der in der Kirche singenden, weiblichen Strafgefangenen hört). Diese Parallele ist für Sirk sicher nicht zufällig. Auch der Kirchturm ist als Ausgangspunkt sicher nicht zufällig gewählt. Denn in der von Sirk gezeigten Welt ist die Kirche ein Vehikel zur Verschleierung der Zustände, des gut sowohl für das heutige Amerika wie für eine britische Kolonie ein Jahrhundert zuvor.

Der Kirchturm beherrscht die Stadt und während die Titel erscheinen, fährt die Kamera quer durch die Stadt zu Jane Wymans Haus. So hat Sirk in seiner meisterhaften Art bereits in der allerersten Szene die zwei Grundthemen seines Films angeschnitten: Einsamkeit und Repression. Agnes Moorehead, die sich später als beste Freundin von Cary ausgeben wird, sagt plötzlich zu Jane Wyman (Cary), dass sie leider keine Zeit für das geplante Mittagessen habe, worauf Jane Wyman mit einiger Verlegenheit den Gärtner (Rock Hudson) einlädt. Ihre Angst vor der Einsamkeit war für einmal stärker als ihr Klassenbewusstsein, sie hat für einmal die Isolation überwunden. Von nun an versucht Hudson, Wyman aus ihren mit Vorurteilen belasteten, bürgerlichen Welt herauszuziehen. Dabei werden uns die spezifischen Komponenten dieser Welt gezeigt: das Haus (das «Zuhause»), die Kinder, die sogenannten Freunde und der Country Club. Von all dem wird Cary gefangen gehalten.

Vor allem die Kinder schränken sie ganz spürbar ein. Sirks Einstellung zu Kindern (und vielleicht nur zu amerikanischen Kindern) ist eine tief pessimistische. Wie er einmal erklärt hat, darf man die Kinder nicht als die neue Generation ansehen, sondern als Nachahmer der alten, als Aufrechterhalter von Tradition und Repression. Sie sind daher nicht nur konservativ, sondern recht eigentlich tragische Figuren. Die Kinder von Jane Wyman versuchen mit aller Kraft, die Mutter in der Vergangenheit festzuhalten und stellen dabei eine schockierende Selbstsucht, die bis zur Unterdrückung der sexuellen Bedürfnisse der Mutter geht, zur Schau. Sie missbilligen Rock Hudson ganz offen, weil er nicht zu ihrer Klasse gehört, weil er eine Beleidigung an den toten Vater ist. Daddy ist immer noch gegenwärtig in Form von Trophäen, die wie Leichen auf dem Cheminée thronen. Als sie Jane Wymann nach Beginn ihrer Affäre mit Rock Hudson wegschaffen will, protestieren die Kinder heftig. Das Haus soll ein Mausoleum bleiben, die Mutter soll mumifiziert werden.

Dies wollen auch ihre Freunde. Sara Warren (Agnes Moorehead) ist, obwohl sie sich mitfühlend und verständnisvoll gibt, im Grunde ein Vertreter der Repression. Sie übt die Unterdrückung zwar mit einer kleinen Dosis von Intelligenz und «Sympathie» versüsst. Sie ist daher für Jane Wyman viel gefährlicher als etwa die dumm-dreiste Mona Plash, die Klatschtante der Stadt. (Die Arbeitsteilung übrigens ist, was die Repression angeht, noch etwas komplizierter: Mona befindet sich mehr an der sexuellen Front, Sara mehr an der Klassenfront). Es kommt also klar zum Ausdruck, dass Wymans Unsicherheit durch ihre nächste Umgebung bedingt ist. Sie hat niemanden, an den sie sich mit ihren Problemen wenden könnte, da jedermann nur bestrebt ist, sie aus ideologischen Gründen im Zustand der Witwe zu halten. Dies gilt für die Kinder, die Freunde und ihren älteren Verehrer, den langweiligen Harvey.

So ist der Film im Grunde eine erbarmungslose Attacke auf eine verlogene Gesellschaftsmoral, ein Lieblingsthema von Douglas Sirk. Diese Attacke ist zwar nicht wie beispielsweise in Stützen der Gesellschaft (1935) oder All I Desire (1953) in der Struktur des Films verankert, bildet aber, zusammen mit Imitation of Life (1958), die durchgreifendste Analyse einer von falschen Ansprüchen geleiteten Gesellschaft, in welcher sich die Prätention mittlerweile zu einer Ideologie gefestigt hat.

Kranke und Leidende

Sirks Interesse für kranke und leidende Personen ist von den Kritikern verschiedentlich hervorgehoben worden. Seine Filme bilden eine lange Parade von Lahmen und Blinden. Eine Tatsache, die hingegen weniger Beachtung fand, ist, dass sich Sirk auch für die Krankheit einer Gesellschaft interessierte, in der die Krankheit des einzelnen bloss Ausdruck eines allgemeinen Unbehagens ist. Viele von Sirks Filmen sind Untersuchungen über eine Gruppe von Leuten oder Gesellschaftsschichten, welche sich am Rande des Zusammenbruchs befinden, wobei er sich dann in der Folge auf die Orte konzentriert, wo der Kollaps stattfindet: die Kirche, die Arztpraxis, Spitäler, Parties und Bars. Geistliche und Ärzte sind in Sirks Filmen nicht bloss Symbole. Sie sind präsent, weil sie von einer vom Zusammenbruch bedrohten Gesellschaft tatsächlich gebraucht werden. Sirk zeigt gerne Leute, die am Rand einer Krise stehen oder sich schon darin befinden, weil dies der Zustand ist, in dem sie sich enthüllen. Beim Trinken, Beten und in der Liebe offenbaren sie ihre Gefühle (sie zeigen diese auch beim Malen, Singen und Tanzen, dort allerdings von der guten Seiten). Mit dem Zusammenbruch fallen auch die Prätentionen. Im Country Club entlarven sich die selbstgerechten Bürger, die gesellschaftlichen Druck auf Jane Wyman und Rock Hudson auszuüben versuchen, in ihrer ganzen Hyprokrisie: Howard Hoffer (Donald Curtis) wagt es bezeichnenderweise erst im angetrunkenen Zustand, Cary Avancen zu machen, ein Zwischenfall, der Hudson veranlasst, den Club zu verlassen (ein Schritt, zu dem sich Jane Wyman nicht entschliessen kann).

Die zwei Parteien in Heaven prallen als die Verkörperung zweier gänzlich verschiedener Welten aufeinander. Die Party bei Hudsons Freunden, den Andersons, gibt Cary Einblick in eine Welt, an der sie an Hudsons Seite hätte teilhaben können; im Country Club hingegen wird sie nur in Ihrer Schwäche unterstützt (ihre «besten Freunde» machen dies überdeutlich). Da sie Hudson nicht in ihre kaputte Welt einbeziehen kann, entschliesst sie sich, von Verlegenheit übermannt, ihn fallen zu lassen — zur grossen Freude der Kinder.

An diesem Punkt führt Sirk indirekt an Thoreau angelehnte Elemente ein. Hudsons Zustand wird während einer Szene, in der er mit Freunden auf die Jagd geht, offenbart — eine Szene übrigens, die in Written in the Wind wieder vorkommt, mit dem Unterschied, dass Hudson diesmal mit dem Vater, einem Proletarier irischer Abstammung, auf die Jagd geht und dabei die Welt des Millionärs Hadley aus den Fugen bringt. «Du bist niemandem etwas nutze, nicht einmal dir selber», wirft ihm sein Freund vor. «Ich weiss», sagt Hudson. Zur gleichen Zeit geht Cary, die an immer wieder auftretenden Kopfschmerzen leidet, zum Arzt (Dr. Hennessy). Er sagt ihr, dass sich die Natur auf diese Weise wehre. «Können Sie mir nicht irgendein Mittel verschreiben?», fragt Cary daraufhin. Worauf die Sirksche Antwort erfolgt: «Erwarten Sie, dass ich Ihnen ein Rezept für das Leben selbst gebe?» Der Arzt rät ihr, Hudson zu heiraten. Die Parallele muss hier kaum betont werden: Natur bedeutet in Hudsons Fall seine unmittelbare Umgebung, die Welt in der er lebt. Für Wyman ist Natur jedoch etwas Innerliches, das nach Ausdruck ringt und dann in Form von Kopfschmerzen zum Vorschein kommt. Ein äusseres Leiden, welches vom Arzt als Symptom inneren Leidens diagnostiziert wird.

Der Schluss des Films zeigt seine Anlehnung an Magnificent Obsession. Heaven hört mit der Szene auf, in welcher sich Wyman über den verunfallten Hudson beugt, der gerade aus einer Ohnmacht erwacht ist; in Obsession sieht man am Schluss Hudson (ein Arzt), der die hilflos daliegende Wyman pflegt, eine Frau, die eben wieder das Bewusstsein und ihre Sehkraft erlangt hat. Aber während in Obsession die Kamera vom Krankenbett auf eine verlassene, vom Fenster aus sichtbare Landschaft fährt, in der eben die Sonne aufgeht, bewegt sie sich in Heaven auf ein Fenster mit Aussicht auf eine Schneelandschaft und ein Reh.

Im Hinblick darauf, dass Sirk wiederholt seine Antipathie gegen «Happy Ends» bekundet hat (eine Antipathie, die schon aus Struktur und Thematik seines Werks hervorgeht) ist der Schluss von Heaven allerdings fragwürdig. Vieles deutet daraufhin, dass der Film ohne diesen hoffnungsvollen Schluss besser gewesen wäre. Die Sirk so am Herzen liegenden Themen der Desintegration und Verzweiflung wären in einem düsteren Ende besser aufgehoben gewesen. So liegt in Heaven letztlich eine tiefe Ironie. Ist Jane Wyman wirklich neu geboren? Hat sie mit ihrer Vergangenheit gebrochen? Eines jedenfalls ist gewiss, die Bürger der kleinen Stadt von New England sind nicht fähig, Verständnis für ihre Lage aufzubringen.

Widersprüche und Konflikte

Heaven ist ein Film, der sich scheinbar nur mit Randproblemen befasst, die aber für Amerika während der Eisenhower Area ausserordentlich bedeutsam waren. Es ist Sirk hier gelungen, Konkretes wie Abstraktes darzustellen, er hat sowohl eine für Amerika repräsentative Gruppe von Leuten gezeigt wie auch ihre Beziehungen zwischen den verschiedenen Klassen, indem er die Kluft zwischen den Leuten, die an gesellschaftlichen Anlässen zum Ausdruck kommt, deutlich gemacht hat. Das Bürgertum, die herrschende Klasse, (die Sirk angefangen mit Stützen der Gesellschaft bis zu Written on the Wind immer wieder angegriffen hat) muss ihren Anspruch mit allen Mitteln aufrechterhalten und daher ein festes Ritual befolgen. Die Menschen sind voneinander abgeschnitten. Die Figur des Harvey ist dafür ein charakteristisches Beispiel. Harvey lebt bloss noch nach einem Ritual. Trinken, Essen, Autofahren — sogar das Reden hat bei ihm rituellen Charakter. Während Ned (Carys Sohn) mit ihm zusammen Martini-Cocktails mixt, tauschen sie nur Belanglosigkeiten aus. (Harvey erzählt von dem wundervollen Arzt, den er während seiner Reise nach Florida getroffen hat.) Es ist eine Welt, in der die Dinge ebenso wichtig sind wie die Menschen, sogar für diese stellvertretend sind: Die Trophäen stellen den Vater dar, der alte klapprige Stationswagen Hudson usw.

An Weihnachten zeigt sich dann das auf reine Äusserlichkeiten beschränkte Ritual in aller Deutlichkeit, hier findet seine eigentliche Verdichtung statt. Und hier kann man Sirk nur bewundern, auf welch meisterhafte, mühelose Weise er die Motive von Thoreau und Weihnachten in New England, symbolisiert durch Bäume, miteinander verschmelzt hat. Weihnachten ist der Augenblick grösster Massenmystifikation, das Ritual mit Alkohol und Geschenken wird strikt eingehalten. Es ist die Zeit des Materialismus und des äusserlichen Spektakels. Jane Wyman, die bereits gesagt hat, dass ein Fernsehgerät ein Eingeständnis ihrer Einsamkeit wäre, bekommt nun ein solches von den Kindern geschenkt, um sie weiterhin in Isolation von der Aussenwelt zu halten. Eingerahmt von Mistelzweigen wird der Apparat, begleitet von der Stimme des Verkäufers («Tragödie, Komödie — ein Druck auf den Knopf genügt, und das Leben paradiert an Ihnen vorbei») hereingetragen. Das Gerät ist nicht eingeschaltet — auf dem Bildschirm sieht man nur Wymans Gesicht wiedergespiegelt, eingerahmt von Misteln. Das Ausserordentliche an dieser Sequenz ist, dass hier die Unterdrückung in Form von Geschenken gleichzeitig visuell eindrücklich und soziologisch stringent vermittelt wird. Nicht der Beschenkte profitiert von dieser Gabe, sondern die Schenkenden. Ausgerechnet zur Weihnachtszeit wird ein Fernsehgerät mitten in die Familie hereingetragen. (Auch in Imitation of Life kommt ein Weihnachtsfest vor, es wird allerdings nicht so direkt gezeigt.)

Andrew Sarris hat zu Recht Sirks Kühnheit gepriesen und geschrieben, dass «die Essenz der Sirkschen Filme die direkte Konfrontation von ganz verschiedenen Stoffen, wie unwahrscheinlich und ausgefallen auch immer ist». Dies gilt nicht nur für Sirks Bildsprache (und seine Verwendung der Musik, die ebenfalls sehr komplex ist) sondern kann auch auf seinen Umgang mit den zur Verfügung stehenden Themen und Genres bezogen werden. Es geht nicht nur um eine Konfrontation verschiedener Stilmittel, sondern auch um eine Konfrontation verschiedener Gesellschaftsschichten. In Zu neuen Ufern wird der Zusammenprall sozialer Klassen gezeigt, in Captain Lightfoot ist es der Kampf zwischen irischen Revolutionären und ihren britischen Unterdrückern, in Imitation of Life geht es um den Rassen- und Generationenkonflikt. Sirk besitzt zweifellos visuelle und muskalische Kühnheit, aber er besitzt auch den Mut zur Gesellschaftskritik, indem er die Widersprüche einer Gesellschaft, sei es nun diejenige in New England während der 50er Jahre oder diejenige im nationalsozialistischen Deutschland gegen Kriegsende (wie in A Time to Love and a Time to Die), so zwingend aufzeigt. Die Gegenüberstellung verschiedensten Materials ist, mit anderen Worten, nur ein Mittel zur Darstellung der Widersprüche und Konflikte innerhalb der Gesellschaft. All That Heaven Allows ist, obgleich das Werk eines deutschen Emigranten, einer der besten und scharfsinnigsten Filme jener Zeit über ein Amerika am Rande des Zusammenbruchs.

Der Aufsatz ist zuerst erschienen in: monogram, Nr. 4, London 1972. Der Aufsalz erscheint hier leicht gekürzt.

Jon Halliday
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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