«Es waren die schönsten der Welt dabei» Douglas Sirk — er ist so alt wie unser Jahrhundert, man kann auch sagen, ein paar Jahre jünger als der Film. 1900 in Hamburg geboren, als Kind fasziniert von dänischen Filmen, von Asta Nielsen, studierte er zuerst Jura, dann Philosophie und Kunstgeschichte. 1922 inszenierte er erstmals auf dem Theater und arbeitete darauf an Theatern in Hamburg, Chemnitz und Bremen. Schliesslich wurde er Direktor des «Alten Theaters» in Leipzig. Nachdem er Shakespeares Was ihr wollt auf der Berliner «Volkbühne» inszeniert hatte «wie einen Film», kam er zur Ufa. Über die Filme, die er dort gemacht hat, schreibt in dieser Nummer Rémy Pithon. Sirk — er hiess damals noch Detlef Sierck — musste dann Deutschland, wie viele seiner Kollegen auch, verlassen. Nach Aufenthalten in Frankreich, der Schweiz und Holland kam er nach Amerika, nach Hollywood. Dort hatte er es nicht leicht, die Arbeitsbedingungen der mächtigen Filmfabrik entsprachen nicht ganz dem, was er von Amerika und Hollywood erwartet hatte. Von einem der Mächtigen Hollywoods, von Harry Cohn (Columbia), musste er sich sogar sagen lassen: «Listen, Sirk, I own you.» In einem Gespräch mit Heinz-Gerd Rasner und Reinhard Wulf während der Retrospektive 1972 am Edinburgh Filmfestival erklärte Sirk: «Heute verteidige ich Hollywood oft; diese verdammten Produzenten, die mir damals so unbequem waren. Heute bin ich nicht mehr im Spiel und sehe vieles mit anderen Augen, obwohl ich auch nachträglich nicht der Meinung bin, dass die Gewalt des Produzenten berechtigt war oder gar nützlich. Wir Europäer nannten damals Hollywood ein Gefängnis, und es was eins. Doch, obwohl es paradox erscheint, hatte das System seine Vorteile. Ein Künstler braucht Mauern, um dagegen anzukämpfen, mögen es auch Gefängniswände sein. Die totale Freiheit ist nur für ein Genie, und selbst das könnte man bezweifeln. Das Ankämpfen gegen diese Wände macht einen Mann listig und erfindungsreich. Es stärkt die Muskeln seines Talents. Allerdings kann er auch, wenn seine Stärke nicht ausreicht, an diesen Mauern scheitern. Man arbeitet damals unter Zwang, aber konnte, wenn man geschickt war, seiner Persönlichkeit Ausdruck geben.» (Filmkritik 11/73). Und wie geschickt er war, der Douglas Sirk! Kaum ein anderer Regisseur seiner Zeit, vor allem kein Europäer, beobachtete Amerika so genau und so kritisch. Ohne irgendwelche laute Agitation — was damals auch kaum möglich gewesen wäre — beschrieb Sirk mit viel Sorgfalt und noch mehr Liebe zu den Menschen das damalige amerikanische Leben, die Gefühle, die nicht mehr ausgelebt werden konnten, die Hoffnungen, die in Schmerz und Verzweiflung endeten. Imitation of Life heisst sein letzter Film in Amerika, sein letzter grosser Film überhaupt. Der Titel kann über sein amerikanisches Werk, ja, eigentlich über sein ganzes Werk gestellt werden. Seit den frühen sechziger Jahren wohnen Douglas Sirk und seine Frau Hilde in der Schweiz, in der Nähe von Lugano. Dennoch weiss man hier noch sehr wenig von ihm und seinen Filmen. Abgesehen von einer Retrospektive des Filmpodiums 1974 in Zürich — einmal mehr hat hier das Filmpodium vorbildliche Arbeit geleistet — und ein paar Vorstellungen in unabhängigen Spielstellen, sah, hörte und las man wenig von und über Sirk. Nun hat sich das Filmfestival Locarno bereit erklärt, eine Retrospektive durchzuführen. Douglas Sirk hat viel erlebt und er hätte demnach auch viel zu erzählen Er ist aber keiner, der seine, meistens viel jüngeren, Zuhörer mit Anekdoten unterhält. Wenn man etwas aus einem Leben wissen will, muss man sehr genau fragen. Und wenn er dann einmal von seinen Filmen spricht, spricht er weniger von den Launen der Schauspieler als vielmehr von der Schauspielerführung, vom Dekor, vom Licht, vom Filmemachen an und für sich. Douglas Sirk spricht nicht von sich, sondern von seiner Liebe zum Kino. Es ist jene Liebe, die man heute, ganz besonders hier in der Schweiz, so oft vermisst. Und in jedem Gespräch mit Sirk kommt sehr bald auch die Aufforderung: «Nun erzählen Sie mal von sich, was machen Sie?» Sirk geht noch heute viel ins Kino, er ist nicht, wie man das bei älteren Leuten immer wieder sehen kann, stehengeblieben. Was Sirk etwa über die neuen Filme aus der Bundesrepublik, über jene von Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder ganz speziell, zu sagen hat, ist nicht selten weitaus interessanter als das, was wir darüberschreiben. Douglas Sirk und seinem Werk, diesen Filmen, die man nicht oft genug anschauen kann und unter denen, wie Rainer Werner Fassbinder schrieb, die schönsten der Welt sind, zu begegnen, ist ein Erlebnis, das tiefe Spuren hinterlässt. Für die Mitarbeit an dieser Nummer danken wir: Douglas und Hilde Sirk; der Douglas Sirk-Stiftung Zürich; This Brunner, Bernhard Uhlmann; der Cinémathèque Suisse in Lausanne; der Zeitschrift Travelling; dem Internationalen Filmfestival Locarno; dem Kellerkino Bern. Bernhard Giger FILMOGRAPHIE April, April; 1935; Deutschland, Ufa. Das Mädchen vom Moorhof; 1935; Deutschland, Ufa; nach Selma Lagerlöf. Stützen der Gesellschaft; 1935; Deutschland, Ufa; nach Henrik Ibsen. Schlussakkord; 1936; Deutschland, Ufa; Buch mit Kurt Heuser; mit Willy Birgel, Lil Dagover. Das Hofkonzert; 1936; Deutschland, Ufa; Buch mit Franz Wallner-Baste nach dem Stück Das kleine Hofkonzert von Paul Verhoeven und Toni Impekoven. Zu neuen Ufern; 1937; Deutschland, Ufa; Buch mit Kurt Heuser, nach der Novelle Zu neuen Ufern von Lovis H. Lorenz; mit Zarah Leader, Willy Birgel. La Habanera; 1937; Deutschland, Ufa; mit Zarah Leander. Accord Final; 1939; Frankreich/Schweiz, J. Weissmann, France-Suisse Film; Regie: I. R. Bay (Ignacy Rosenkranz), Supervision: Detlef Sierck (uncredited). Boefje; 1939; Holland, NV City Film; Buch mit Carl Zuckmayer nach der Novelle «Bofje» von M. J. Brusse. Hitler’s Madman; 1942; USA, MGM; mit John Carradine. Summer Storm; 1944; USA, United Artists/Angelus Pictures; Buch mit Rowland Leigh nach «Die Jagdpartie» von Anton Tschechow; mit George Sanders, Linda Darneil, Edward Everett Horton. A Scandal in Paris; 1945; USA, UA/Arnold Pressburger Productions Inc.; mit George Sanders, Akim Tamiroff. Lured (auch Personal Column); 1946; USA, UA/Oakmont Pictures; mit George Sanders, Lucille Ball, Charles Coburn, Boris Karloff. Sleep, My Love; 1947; USA, UA/Triangle; mit Claudette Colbert, Robert Cummings. Slightly French; 1948; USA, Columbia; mit Dorothy Lamour. Shockproof; 1948; USA, Columbia; (Buch: Samuel Füller); mit Cornel Wilde, Patricia Knight (als Vorlage für eine Serie von Bildern diente Richard Hamilton das in dieser Nummer abgebildete Szenenphoto). The First Legion; 1950; USA, UA/Sedif Pictures Corporation; mit Charles Boyer. Mystery Submarine; 1950; USA, Universal International. Thunder on the Hill; 1951; USA, Universal International; mit Claudette Colbert. The Lady Pays Off; 1951; USA, Universal International; mit Linda Darneli. Weekend with Father; 1951; USA, Universal International; mit Van Heflin, Patricia Neal. Has Anybody Seen My Gal?; 1951; USA, Universal International; mit Charles Coburn, Piper Laurie, Rock Hudson. James Dean hat einen kurzen Auftritt. No Room for the Groom; 1952; USA, Universal International; mit Tony Curtis, Piper Laurie. Meet Me at the Fair; 1952; USA, Universal International. Take Me to Town; 1952; USA, Universal International; mit Ann Sheridan, Sterling Hayden. All I Desire; 1953; USA, Universal International; mit Barbara Stanwyck, Richard Carlson. Taza, Son of Cochise; 1953; USA, Universal International; mit Rock Hudson, Barbara Rush. Magnificent Obsession; 1953; USA, Universal International; mit Jane Wyman, Rock Hudson, Agnes Moorhead. Sign of the Pagan; 1954; USA, Universal International; mit Jeff Chandler, Jack Palance. Captain Lightfoot; 1954; USA, Universal International; mit Rock Hudson, Barbara Rush. All That Heaven Allows; 1955; USA, Universal International; mit Jane Wyman, Rock Hudson, Agnes Moorhead. There’s Always Tomorrow; 1955; USA, Universal International; mit Barbara Stanwyck, Fred Mac Murray, Joan Bennett. Written on the Wind; 1956; USA, Universal International; mit Rock Hudson, Lauren Bacall, Robert Stack, Dorothy Malone. Battle Hymn; 1956; USA, Universal International; mit Rock Hudson. Interlude; 1956; USA, Universal International; mit June Allyson, Rossano Brazzi. The Tarnished Angels; 1957; USA, Universal International; mit Rock Hudson, Robert Stack, Dorothy Malone, Jack Carson. A Time to Love and a Time to Die; 1957; USA, Universal International; nach Erich Maria Remarque; mit John Gavin, Lilo Pulver. Imitation of Life; 1958; USA, Universal International; mit Lana Turner, John Gavin, Sandra Dee, Susan Kohner, Juanita Moore. Mahalia Jackson singt am Schluss des Films. Zwei Kurzfilme mit Studenten der Hochschule für Fernsehen und Film München; Sprich zu mir wie der Regen; 1976; BRD, HFF. Sylvesternacht; 1977; BRD, HFF.

CINEMA #24/3
DOUGLAS SIRK – IMITATION OF LIFE