DACIA MARAINI

MEIN FREUND PIER PAOLO

ESSAY

Pasolini war ein sanfter und liebenswürdiger Freund, mit dem ich mich immer stritt. Er mochte meinen Feminismus nicht. Er sagte, was mich «rette», sei meine Verzweiflung.

Ich wusste, er sah die Frauen mit den Augen seiner geliebten Knaben: naiv und unwissend. Für ihn waren die Frauen entweder Mythen oder unterdrückte Hauswesen im Dienste des Mannes oder aber verantwortungslose und dümmliche Schäfchen, ein Frass für die reissenden Wölfe der Vorstädte. Und dennoch hatte er intelligente Frauen um sich, Frauen, die er schätzte. Aber er betrachtete sie, sehr freudianisch, als verfehlte Männer, als fremdartige Gespenster zum Lieben und Bemitleiden.

Trotz dieses vollständigen Missverstehens hatten wir1 ihn gern; und es gelang uns sogar, gut mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich erinnere mich, als wir in Sabaudia vorletzten Sommer in einem Monat das Drehbuch zu 1001 Nacht schrieben, neun Stunden pro Tag. Er war unser Gast in einem Hause, das wir am Quai gemietet hatten. Ich schrieb in einem Raum, der sich auf das Meer hinaus öffnete; er in einem Zimmer gegen eine schäbige Düne. Ich fragte ihn, ob er tauschen wolle, aber es kam ihm nicht drauf an. Wenn er schrieb, blieb er lieber eingeschlossen, fast im Dunkel. Am Abend lasen wir das jeweils Geschriebene. Er war aufgeräumt, peinlich genau, selbstvergessen, höflich. Er wollte nie etwas geändert haben.

Erst als ich den Film sah, bemerkte ich, wie einige Dinge, die ich mit den Augen einer Frau gesehen hatte, unmerklich verschoben waren, wahrscheinlich ohne genaue Absicht. Und dann gab es eine Szene, die mich in Wut versetzte, die nie im Drehbuch gestanden hatte: in der der Bursche seiner Geliebten den Pfeil zwischen die Beine schiesst. Ich sprach ihn darauf an, und er antwortete mir mit einem Lächeln. Aber es war ein mildes, sanftes Lächeln, ohne jeden Spott. Obwohl er meine Ideen ablehnte, war er in der Polemik nie verletzend, einschränkend oder vulgär, was indes sogar von den Klügsten meiner Schreiberkollegen nicht gesagt werden könnte.

Die Welt der Unterdrückten

Was uns verband, war das Interesse für die sozialen Verhältnisse, die Sympathie für die Welt der Unterdrückten. In der Tat war sein Ersuchen um Zusammenarbeit nach der Lektüre meines Buches Memorie di una Ladra erfolgt, das in einer ihm gemässen Umgebung wurzelt. Er wusste, dass ich gleich ihm eine unmittelbare Erfahrung des Lebens in den Vorstädten, in den Baracken, im Subproletariat besass. Hierin haben wir uns stets verstanden, auch wenn in letzter Zeit die Diskussionen darüber heftig und verbissen wurden. Ich tadelte seine Ablehnung der Wirklichkeit, seine schmerzliche und blinde Verehrung für die Vergangenheit. Er hielt mir vor, «starrköpfig», «naiv» und «hartnäckig positivistisch» zu sein.

Durch das viele Zanken und Polemisieren war zwischen uns eine eigenartige Freundschaft entstanden, gemischt aus Widerspenstigkeit und Zärtlichkeit. Wir kannten auch Augenblicke grossen Einverständnisses, wie diesen Sommer, als wir uns zum Kampf für die Verteidigung des Nationalparkes am Circeo zusammenfanden, der durch Spekulation und Privatinteressen bedroht war. Obwohl er an der Montage seines Films war, kam er wiederholt mit mir, um mit dem Direktor des Parks zu sprechen, die Orte der Verbrechen «gegen die Natur» zu besichtigen oder an einer von der FGCI (Bund der kommunistischen Jugend Italiens) in San Felice organisierten Debatte teilzunehmen; danach hatten wir beschlossen, zu Spadolini und Artioli zu gehen, damit diese das Parkgesetz im Senat unterstützten.

Aber der Augenblick, in dem ich ihn am nächsten spürte, lag vielleicht einige Jahre zurück, als wir eines Abends in einem Restaurant beisammensassen und er sich plötzlich unwohl fühlte. Er ging auf die Toilette, und wenig später sahen wir ihn aus der Türe fallen und Blut erbrechen. Niemand wollte zu ihm hin. Es war ein Ausbruch seines Magengeschwürs: sie glaubten, er sei tot. Ich zog ihn an den Schultern hoch und schüttete Wasser auf sein Gesicht. Er kam zu sich und sagte mir: Hüf mir, bitte, hilf mir. Ich wusste nicht, was tun, hielt ihn fest an mich und wusch ihm dann das Gesicht. Er verlor von Neuem das Bewusstsein, kam dann wieder zu sich. So dreimal, bis er endgültig wieder bei Sinnen war. Wir sprachen später nie davon, aber etwas Vertrauliches und Beklemmendes war zwischen uns getreten, das wir nicht vergessen konnten.

Energisch und Unermüdlich

Ich möchte damit nicht den Eindruck eines kranken und schwachen Mannes erwecken. P. P. Pasolini ging es abgesehen von diesem Magengeschwür, das kurz bevor er fünfzig wurde, aufgetreten war und in letzter Zeit beinahe ausgeheilt war, immer gut; er war stark, energisch, gewandt und unermüdlich. Er konnte sich stundenlang der Sonne aussetzen und mit uns [Volley]ball spielen; dann duschte er sich kalt, schlang etwas Kaltes runter, zog sich frisch an und machte sich dann auf seine nächtlichen Streifzüge, von denen er gegen die ersten Morgenstunden einsam und heiter zurückkehrte. Er war ohne Boshaftigkeit, war niemals kleinlich oder schnöde, auch wenn er böse sein wollte. Deswegen konnte ihm niemand übelwollen. In allem, was er tat, war er ernst, aufmerksam, respektvoll gegen die andern, entspannt und ruhig. Auch sein Verhältnis zum Geld war überaus grosszügig. Er gab reichlich Trinkgelder, half allen, die ihn darum baten, bezahlte den ärmsten seiner Freunde das Essen, beteiligte sich an allen Sammlungen für Freiheitsbewegungen, politische Flüchtlinge usw. Er arbeitete viel, verdiente viel und gab auch eine Menge aus, ohne je den Verdacht auf Habgier oder auf das bürgerliche «Hängen an den Dingen» zu erwecken.

Er war ein Mann grossen physischen Mutes. Er wusste, dass er sein Leben wagte. Aber er kannte keine Angst. Er hatte ein unbegrenztes Vertrauen in seine katzenhafte Gewandtheit, in seine athletische Kraft und sein Schicksal. Nachts bewegte er sich geschickt, wie eine Katze mit phosphoreszierenden Augen. Er ging den Gefahren mit dem frohen und ein wenig erstaunten Antlitz eines Kindes entgegen, das die Dunkelheit herausfordert.

Ich weiss mit Sicherheit, dass er niemandem aus keinem Grund der Welt etwas Böses hätte antun können. Einem Freund, der ihm riet, auf diesen nächtlichen Streifzügen eine Pistole mit sich zu tragen, hörte ich ihn vor wenigen Monaten antworten: oh nein, ich wüsste sie ja gar nicht anzuwenden. In der Tat bin ich sicher, dass er vor der Wahl, zu töten oder getötet zu werden, sich für das letztere entschieden hätte, und ich schliesse nicht aus, dass es tatsächlich so geschehen ist. Nach dem Gesagten möchte ich klarstellen, dass meiner Meinung nach das Verbrechen an Pasolini, so privat es auch erscheinen mag, ein politisches Verbrechen ist. Auch wenn der Mörder nicht direkt im Auftrage Dritter handelte, so hat er indirekt doch im Namen einer stumpfsinnigen und verrotteten Gesellschaft gehandelt, die den Mythos des Geldes und der Gewalt züchtet. Auch wenn ihm niemand die Angriffswaffe in die Hand gegeben hat, wurde der Bursche von jenem schrecklichen Klima der Kultur- und Wahrheitsverachtung, in dem wir leben, zum Mord ermutigt. Ein Klima, das die zwanghafte Homosexualität unter Männern fördert, um sie dann zu verneinen und abzulehnen, wenn diese gleiche Homosexualität in ernsthafter und sanfter Weise von einem Menschen grosser Zivilcourage gelebt wird.

Dada Marabu spricht auch von ihrem Mann, Alberto Moravia.

Autorisierte Übersetzung: Heiri Helfenstein. Aus «Paese Sera», 4. November 1975.

MON AMI PIER PAOLO

Daoia Maraini, la femme de Moravia, raconte son amitié pour Pasolini, avec lequel elle a travaillé pour les 1001 nuits. Ce qui les liait, c’était avant tout l’intérêt commun pour les conditions sociales, la sympathie pour le monde des opprimés, puisque, tous deux, ils avaient l’expérience directe de la vie dans les banlieues, dans les baraques, dans le sous-prolétariat. Mais c’était aussi bon nombre de discussions, passionnantes et pasionnées, elle, lui reprochant un refus de la réalité, sa vénération douloureuse et aveugle pour le passé; et lui, reprochant d’être têtue, naïve et incorrigiblement positiviste. Ce qui, peut-être, les avait rapproché le plus — seulement ils n’en parlaient pâmais — c’était, il y a bien des années, un malaise, une crise violente de Pasolini (due à son ulcère à l’estomac) durant laquelle Dacia Maraini put lui porter secours, établissant entre eux des liens plus profonds, une complicité et une confiance durable et au-delà des mots. Daoia Maraini garde de Pasolini l’image d’un homme fort, énergique, habile, infatigable, sérieux, attentif, respectueux des autres, détendu, calme, généreux et incapable de faire du mal, d’être méchant ou mesquin. Pour elle, malgré les apparences, la mort de Pasolini est un acte politique issu d’une société stupide qui nourrit le mythe de l’argent et de la violence. (AEP)

Dacia Maraini
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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