BENJAMIN EUGSTER

BON SCHUUR TICINO (PETER LUISI)

Es ist ein wahrlich historisches Wahlergebnis. Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung spricht sich in der Volksinitiative «No Bilingue» des Medienmoguls Jeannot Bachmann (Beat Schlatter) für die Einführung einer einheitlichen Landessprache in der Schweiz aus. Der Beamte bei der Bundespolizei Walter Egli (auch Beat Schlatter) hat auf seinen Abstimmungsunterlagen ein „Ja“ bei der Initiative eingetragen. Aufgrund der auffällig niedrigen Stimmbeteiligung in der Deutschschweiz entscheidet sich das Wahlvolk allerdings für die Einführung des Französischen als einheitlicher Landessprache – eine Herausforderung nicht nur für Eglis bescheidenen Französischkenntnisse. Denn bis zur Einführung gibt es noch vieles vorzubereiten: Strassennamen müssen umbenannt, Subventionen geprüft und Beamt_innen geschult werden.
 
Gleichzeitig regt sich an unterschiedlichen Orten Widerstand. Eglis Mutter (Silvia Jost) schliesst sich mit zwei Veteranen aus unterschiedlichen Separatistenbewegungen zusammen, beschattet Bachmann und plant einen Anschlag auf den Politiker. Während die meisten Institutionen in der Deutschschweiz in den frankophonen Regelbetrieb übergeführt werden, hadert das Tessin mit der Umsetzung der neuen Sprachpolitik. Ein zunehmende autoritärer Enzo Castani (Leonardo Nigro) hat eine aktive Widerstandsbewegung und Teile der Schweizer Armee hinter sich. Er plant, die Unabhängigkeit von «Ticinia» auszurufen. Zusammen mit Jonas Bornand (Vincent Kucholl) wird Egli in den südlichen Kanton entsandt, um den Komplott aufzuspüren. Über die Tessinerin Francesca Gamboni (Catherine Pagani) gelangt Egli unverhofft durch eine gehörige Portion Glück, Naivität und Charme in die Mitte der Widerstandsbewegung. Dabei trägt der Film für einige vielleicht etwas zu dick mit der Tessiner Romantik-Idylle auf, während sich die beiden zwischen Grotto und Kastaniensammeln annähern. Umso erfrischender sind da die verzweifelten Versuche von Bornand, der Verschwörung vor seinen Augen mit Gadgets und Verkleidungen auf die Schliche zu kommen.
 
Luisi und Schlatter gelingt es auf unterhaltsame Weise, den aus der Tagespolitik gegriffenen Populismus und seine bürokratischen Folgen in eine gewitzte Satire zu verwandeln, die sich in die Schweizer Filmgeschichte einschreibt. So ist zumindest die Referenz an Die Schweizermacher (Rolf Lyssy, CH 1978) durch das Casting von Silvia Jost als Eglis Mutter zu verstehen, die sich in dem Filmklassiker bereits als Sandra Grimolli in Schweizerdeutschsprachkursen an den eidgenössischen Integrationsvorstellungen abmühen musste. Bei aller kultureller Finesse scheut die Filmhandlung dabei nicht die Eskalation, die mit dem Bild einer autoritären Schweiz einhergeht. Eine Hommage an die Schweizer Mehrsprachigkeit, die jedoch nicht zuletzt in der Bescheidenheit besteht, dass wir alle wissen, dass wir uns gegenseitig im Konflikt nicht viel entgegnen können.
 
Benjamin Eugster
*1987, hat an der Universität Zürich Populäre Kulturen, Filmwissenschaft und tschechische Literaturwissenschaft studiert. Seit 2017 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachgruppe Blended Learning an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Er hat zu partizipativen Medien, digitalem Wandel, DIY und audiovisuellen Remix-Praktiken publiziert.
(Stand: 2020)
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