JEAN PERRET

DE NOCHE LOS GATOS SON PARDOS (VALENTIN MERZ)

Dieser erste Spielfilm von Valentin Merz widersteht erfolgreich jeder kohärenten Zusammenfassung. Seine Handlung ist ein Geflecht aus verschachtelten Strängen. Die Unvorhersehbarkeit wird zur Grundregel der Erzählung! Und es gibt Episoden, die den Anschein einer verständlichen Erzählstruktur erwecken. Diese spielen damit, die Dreharbeiten eines Film in den Film einzuschreiben. Dann die glückliche Katastrophe: Der Filmemacher, der Aufnahmen überschwänglicher Liebesspiele mit nackten Körpern in einem grossen Wald dreht, verschwindet. Der Film war noch nicht fertig, aber später werden einige Szenen gezeigt, in denen einsame, nackte Charaktere im Schatten eines Waldes umherirren. Aber wir hatten genug Zeit, uns diesen wahnsinnig abgedrehten Film vorzustellen, der aus einem Sammelsurium aus queeren Szenen zusammengesetzt ist, deren ekstatische Charaktere von einer verzehrenden Libido besessen sind.
 
Valentin Merz, der selbst den verschwundenen Filmemacher spielt, der unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen ist, die von einer seltsamen Polizei nie aufgeklärt werden können, behält trotzdem aber die Kontrolle über einen Film, der aus Sprüngen, Gegensprüngen und Wendungen besteht. De noche los gatos son pardos lebt von Genres, die er spielerisch ihrer akademischen Bedeutung beraubt: Dokumentarfilm (einen speichelhaften Kuss zwischen zwei Männern nachspielen), Erotikfilm (wie man Männer- und Frauenkörper harmonisch ineinander verschlingt), Queerfilm (Wünsche in allen Ausrichtungen), Komödie (den Transport einer wie eine Mumie eingewickelten Leiche durch den Wald), Drama (am Ende um zwei Tote trauern). Und der so heterogene Film fügt einige melodramatische Elemente hinzu, um sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen.
 
Die Arbeit von Valentin Merz ist eine etwas freche Kritik am Mainstream-Kino und dessen Erzählungen mit vorhersehbaren Drehbüchern und psychologisch glaubwürdigen Charakteren. Es ist nicht nötig zu sagen, dass die Figuren hier keine psychologische Tiefe haben. Nicht, dass sie durchschaubar wären, aber sie sind libertär in einer Geschichte mit erfrischenden Auslassungen und naiven ethnografischen Improvisationen. Was sollen wir also im exotischen Mexiko treiben, wenn nicht die Leiche des Freundes finden, der auf der Suche nach seinem verschwundenen Regisseur ist? Der Film und der Film des Films bleiben Artefakte, die niemals die Rätsel lösen werden, die die Toten und Lebenden mit tausend bunten Strängen verknüpfen. Diese werden, zumindest im Kino, von flammenden Begierden und abgrundtiefem Schweigen heimgesucht. Die Nächte gehören den Katzen und den abenteuerlustigen, ungezügelten und brüderlichen Filmemachern.
 
Aus dem Französischen von Simone Grüninger
Jean Perret
*1952 in Paris, erlangte ein Lizentiat in Semiotik, Geisteswissenschaften und Geschichte der Neuzeit und widmete seine Abschlussarbeit dem Schweizer Dokumentarfilm in den Dreissigerjahren. Er arbeitete als Filmjournalist für verschiedene Zeitschriften und Tageszeitungen sowie für das Radio der französischen Schweiz. Perret rief die ‹Semaine de la critique› in Locarno ins Leben und leitete sie zwischen 1990 und 1994, um dann 1995 die Leitung des internationalen Dokumentarfilmfestivals in Nyon zu übernahmen, das er unter dem Namen Visions du Réel weiterführte. 2010 bis 2018 wurde er für die Leitung der Abteilung Film – die damals den Titel ‹cinéma du réel› trug – an der Haute école d’art et de design (HEAD) in Genf berufen. Gibt Seminare und Kurse sowohl in der Schweiz wie im Ausland über allgemein das essayistische ‹cinéma et photographie du réel›. Schreibt für die Redaktionen der Online-Filmzeitschrift www.filmexplorer.ch, des Kulturmagazins La Couleur des Jours (www.lacouleurdesjours.ch), des CINEMA Zürich. Berater bei der Filmproduktionsfirma GoldenEgg und bei Filmfestivals.
(Stand: 2025)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]