TATJANA HOFMANN

INGEBORG BACHMANN – REISE IN DIE WÜSTE (MARGARETHE VON TROTTA)

«Weil du unbekümmerter bist als ich», antwortet die österreichische Dichterin, Schriftstellerin und Theaterautorin Ingeborg Bachmann (1926-1973) ihrem Freund Max Frisch auf die Frage, warum es ihr so schwerfalle, die passenden Worte zu finden. Er glaubt es ihr ohnehin nicht. Trotz seiner massigen Gestalt rückt er in ihren Schatten, wenn sie von Redakteur_innen und Verehrer_innen umringt wird. Sie sei die beste deutschsprachige Dichterin, sagt ihr einer von ihnen – «ich weiss», antwortet sie.
 
Margarethe von Trottas Film zeigt uns Ausschnitte aus dem Leben der österreichischen Schriftstellerin, die sich um ihre Beziehung zum Schweizer Theater- und Romanautor Max Frisch gruppieren. Eine schwierige, aber auch fruchtbare Beziehung, aus der u.a. ihr Werk Malina hervorgegangen ist. Wir folgen ihr nach Deutschland, an den Zürichsee, nach Rom und nach Ägypten. Dort, in der Wüste, lebt sie in den Armen ihres neuen Freundes, des Schriftstellers und Filmemachers Adolf Opel, und in den Armen arabischer Männer lebt sie auf. Da ist noch ihre innige Beziehung zur Musik, zur Gruppe 47, zu Zigaretten und Schmerzmitteln, vor allem aber zur Literatur, die ihr und Frisch noch jahrzehntelang einen Begegnungsraum in Briefen, Tagebüchern und Romanen eröffnet.
 
Max Frisch porträtiert von Trotta dabei nicht als homo faber, als einen ‹Macher›, und auch nicht als Fels in der Brandung, wie ihn Bachmann vielleicht bräuchte, vielmehr als verletzlichen und verführbaren Wels. Beide brauchen Ruhe zum Schreiben, ihre Orte – den Zürichsee bzw. la bella Roma – und ihren enormen Erfolg. Beide haben Angst vor «Versteinerung», aber auch vor Verbindlichkeit. Was die Autorin, die als eine frühe feministische Stimme der Nachkriegszeit gilt, Frisch im Film vorwirft, wird ihm in seiner zweiten Ehe im echten Leben zum Verhängnis: Die Offenlegung von Privatem. Bachmann hingegen zeigt uns der Film als selbstbewusste, immerzu junge Frau, als fragile kranke Gestalt und als eine einsame Autorin, die sich vor einem Meer aus Männeraugen Wort für Wort ihren Weg bahnt.
 
«Warum schreiben Sie keine Gedichte mehr?» Hören wir mehrmals. Das wird heute keine Autorin bei einer Lesung gefragt. – Eine Retrospektive also nicht nur auf eine Schriftstellerin, sondern auch auf eine Zeit, als Literatur noch wichtiger als das Telefon gewesen ist. Der Film versetzt uns in gediegene Interieurs historischer Wohnhäuser, stimmungsvolle Cafés und farblich abgestimmte Landschaften, wobei die Wärme der Wüste mit dem kühlen Berlin kontrastiert wird. Die Figuren- und die Schnittführung durchbrechen dabei stereotype Erwartungen an das Künstler_innendasein. Darüber mögen aber leseaffine Zuschauer_innen gern auch Bachmanns Texte befragen.
Tatjana Hofmann
Slavistin, Autorin und Übersetzerin; Studium in Berlin, Promotion in Zürich und Postdoc ebenda; diverse Projekte zu russischen und ukrainischen Literaturen; zuletzt Fellow am Collegium Helveticum, ETH; 2023 Werkbeitrag des Kantons Zürich für Züriseelen.
(Stand: 2023)
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