ALAN MATTLI

(IM)MORTELS (LILA RIBI)

Es heisst, gute Geschichten entstehen aus Reibung und Konflikten. Entsprechend vielversprechend liest sich die Kurzbeschreibung von (Im)mortels , nach Révolution silencieuse dem zweiten abendfüllenden Dokumentarfilm von Filmemacherin Lila Ribi: Ribi glaubt an ein Leben nach dem Tod, ihre Grossmutter Greti nicht. Die beiden haben viel zu diskutieren. Dies ist denn auch der grosse Reiz von (Im)mortels: Ribi begleitet hier Greti – ihres Zeichens die Mutter des grossen Schweizer Regisseurs Yves Yersin (Les petites fugues ) – während der letzten zehn Jahre ihres Lebens, verwickelt sie in so manches anregende Gespräch und beisst sich über weite Strecken an ihrem sturen Fatalismus die Zähne aus: «Der Tod ist das Ende», betont die rüstige Mittneunzigerin immer wieder. «Und wenn danach doch noch etwas kommt, dann treffen wir uns dereinst auf einer Wolke und reden weiter.» Dazwischen reflektiert Greti über ihre Lebensgeschichte, ihr bewegtes Familienleben, den Umstand, dass mit im Alter alles ein wenig mühsamer wird.
 
Es ist ein sympathisches Familienporträt mit einem erfrischend offenherzigen Umgang mit dem Alltagsphänomen Tod, das Ribi hier vorlegt – eine Dokumentation, die mit bewundernswerter Selbstverständlichkeit, und ohne effekthascherischen Nachdruck, mit dem Tabu bricht, dass man auf der Leinwand keine echten toten Körper abbildet.
 
Leider trifft diese Beschreibung aber nur auf gut die Hälfte von (Im)mortels zu: Die andere Hälfte widmet sich Interviews mit «Expertinnen» und «Experten» zum Thema Leben nach dem Tod. Nicht nur harmoniert dieser Versuch, dem Film eine «objektive» (grenz)wissenschaftliche Erdung zu geben, nur bedingt mit dem subjektiv-familiären Herzstück; die Wahl der Befragten sowie die Anordnung ihrer getroffenen Aussagen privilegieren – wenig überraschend – Ribis eigenen Standpunkt.
 
Was man diesen etwas gar konventionell inszenierten Ausflügen in die klassische Interview-Dokumentation allerdings zugutehalten kann, ist, dass sie sich nicht zu allzu dogmatischen Schlussfolgerungen versteigen. Ribis Unterhaltungen mit Nahtod-Überlebenden, übernatürlich begabten Medien und nüchternen Neurologen zielen nicht auf das pseudowissenschaftliche Erbringen definitiver Beweise ab, sondern verfahren im Grunde nach dem Prinzip Hoffnung: Die Frage nach dem Weiterleben von Geist oder Seele nach dem Tod des Körpers ist in dieser Dimension wohl nicht abschliessend zu klären, also kann es wohl nicht schaden, ein paar Möglichkeiten abzuklopfen.
 
Bedenklich wird (Im)mortels dann, wenn Ribi die Zügel über ihren jenseitsgläubigen Eifer entgleiten. Eine Séance kurz vor Schluss verläuft nach allen Regeln althergebrachter Scharlatanerie, wird dem Publikum aber als tiefgreifende Erkenntnis verkauft. Mitunter wirft auch der Druck, unter den die greise Greti wegen ihrer Ansichten gesetzt wird, Fragen hinsichtlich dokumentarischer Ethik auf.
 
Fest steht jedenfalls, dass Ribi mit (Im)mortels einen Film gedreht hat, der aus diversen Gründen für reichlich Gesprächsstoff sorgen kann – was dem bisweilen vielleicht etwas zu konziliant eingestellten Schweizer Dokumentarfilm sogar guttut. Auch dem Publikum soll etwas Konflikt und Reibung vergönnt sein.
Alan Mattli
*1991, studierte Anglistik und Filmwissenschaft, zurzeit Doktorand in Englischer Literaturwissenschaft in Zürich. Freischaffender Filmjournalist, für FacingTheBitterTruth.com, Maximum Cinema und Frame, Mitglied der Online Film Critics Society.
(Stand: 2021)
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