DARIO IANNOTTA

MOTHER LODE (MATTEO TORTONE)

Der italienische Regisseur Matteo Tortone zeigt uns mit dieser dokumentarischen Fabel die prekäre Situation von Saisonarbeiter_innen, die jährlich zur reichsten und gefährlichsten Goldmine Perus aufbrechen. Tausende Menschen erhoffen sich ein besseres Leben durch das Aufsuchen der Mine. Doch bei den Arbeiten in der Mine ereignen sich immer wieder tödliche Unfälle, da die Sicherheit der Arbeiter_innen für die Machthaber keine grosse Rolle spielt. Dieser gesellschaftliche Zusammenhang wird hier an der Lebensgeschichte des jungen Familienvaters Jorge aufgezeigt, der sich aus Armutsgründen auf die Reise in die dunklen gefährlichen Goldminen aufmacht. Er erhofft sich, in den Minen genügend Gold zu finden und Geld zu verdienen, um es seiner Frau zu schicken, die schon von einem eigenen Swimming-Pool träumt, wie die Zuschauer_innen in einem Face-Time-Anruf zwischen Jorge und seiner Frau erfahren.
 
Mother Lode ist aber nicht nur ein aufklärerischer Dokumentarfilm, der unsere Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Sachverhalt lenken möchte. Der Film bietet deutlich mehr, wie es schon in der ersten Einstellung klar wird, die den Auftakt des Filmes bildet und zugleich den filmischen Takt für den restlichen Film vorgibt. In der langen Schwarz-Weiss-Nahaufnahme kämpfen zwei Hähne in Slow-Motion gegeneinander, während eine Stimme im Voice-Over in die Geschichten des Filmes einführt. Sie handeln von Liebe, Tod, Geld und Gold. Nach der kurzen Einführung des Voice-Overs ertönt die fröhliche spanische Musik, während die aggressiven Hähne immer noch um ihr Leben kämpfen. Diese Szene spiegelt das sonderbar ruhige und zugleich groteske Gefühl des ganzen Filmes wider. In keiner weiteren Aufnahme wird die Brutalität, wie sie im anfänglichen Hahnenkampf zu sehen ist, direkt gezeigt, doch an Wirkung verliert sie trotzdem auch im Laufe des Films nicht, wo sie den Anschein erweckend, äusserst zufällig und indirekt von der Kamera eingefangen worden zu sein, in Erscheinung tritt.
 
Während sich die Schönheit in der reduzierten Form des Filmes entfaltet, offenbart sich in der Tiefe der ruhigen Aufnahmen fast unbemerkt die grausame Realität der Arbeiter, die auf der Suche nach Geld und Gold ihr Leben riskieren. Die langen hypnotisierenden Kameraeinstellungen des Kameramannes Patrick Tresch versetzen die Zuschauer_innen in einen Trance-Zustand, welcher der Wichtigkeit der behandelnden Thematik nichts abspricht. Die Kamera wirkt bodenlos und bewegt sich wie ein Geist durch die Szenerie und zwischen den Menschen dieser Fabel. Diese Kombination aus langen, langsamen, aber nie langatmigen Kameraeinstellungen und indirekter Dramatik verleihen dieser existenziellen Geschichte eine Sprengkraft, wie sie oft in Goldminen zu finden ist.
Dario Iannotta
* 1992 in Zürich, 2012 Abschluss kaufmännische Berufslehre, 2021 Bachelorabschluss in Filmwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Zürich. Derzeit im Masterstudium in Filmwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Zürich. Arbeitet als Bibliotheksmitarbeiter im filmwissenschaftlichen Institut der Universität Zürich, als freier Filmkritiker und als freier Pornodarsteller.
(Stand: 2022)
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