DARIO IANNOTTA

MARKUS IMHOOF – REBELLISCHER POET (STEFAN JÄGER)

Markus Imhoof packt seine Koffer. Dies ist der Anfang des Dokumentarfilmes von Stefan Jäger. Der Film nimmt uns auf eine Reise durch das filmische Schaffen eines der bedeutendsten Schweizer Filmemacher mit. Es werden verschiedene Etappen seines Lebens beleuchtet, von den rebellischen Anfängen bis zu seiner gefestigten weltweit anerkannten Karriere. Es wird schnell klar, dass von Filmemacher_innen auf ihrem Weg nicht nur viel Mut und Durchhaltewillen abverlangt wird, sondern dass sie auch viele persönliche Kompromisse eingehen müssen. Stefan Jäger versteht es, aus diesen Konflikten die Dramaturgie für seinen Dokumentarfilm zu etablieren. Er lässt Markus Imhoof als Erzähler seiner eigenen Geschichte fungieren und ergänzt diese mit dem Archivmaterial aus dem Fernsehen. Die Ausschnitte aus Imhoofs Filmen und die Erzählungen von Wegbegleiter_innen runden diese Erzählform ab. Dadurch wird ein farbiges Panorama über die vielen Höhen und Tiefen im Imhoofs Leben sichtbar.
 
Der Film legt grossen Wert darauf, die rebellischen Anfänge von Imhoof auszumalen. Bereits mit seinen ersten Dokumentarfilmen eckte Imhoof an. Er wagte es, die unbequemen Fragen zu stellen, wie er dies in seinem dokumentarischen Kurzfilm Rondo (CH, 1968) tat. Der Film hinterfragt das Wegsperren von Straftäter_innen und wurde unmittelbar von der Zürcher Justizdirektion verboten. Zudem hatte er mit dem Kartell aus Verleiher_innen und Kinobesitzer_innen zu kämpfen, als sie seinen selbst produzierten Film Fluchtgefahr (CH, 1974) blockierten und nicht in den Kinos zeigen wollten. Markus Imhoof ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. Ihm ist es wichtig, sich selbst und seine Rolle als Filmemacher zu hinterfragen. Er bereut sein Verhalten gegenüber seiner Familie, weil er oft von seiner Arbeit absorbiert war und kritisiert auch seine eigene Verbissenheit. Diese Selbstreflektionen sind die prägendsten Momente dieses Dokumentarfilms und verweisen auf die Stärken in Markus Imhoofs kreativem Schaffen.
 
Der internationale Durchbruch gelang Imhoof mit seiner Oscar Nomination für seinen Spielfilm Das Boot ist voll (CH, 1980). Darin beleuchtet er die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und übt Kritik an deren Umgang mit geflüchteten Menschen. Bekannt ist Imhoof aber vor allem für seine Dokumentarfilme, in denen er seine persönliche Lebensgeschichte mit globalen Geschehnissen auf tiefsinnige Weise zu verknüpfen vermag. More than Honey (CH, DE, AT 2012) zählt zu den erfolgreichsten Schweizer Dokumentarfilmen und thematisiert die Tragik des weltweiten Bienensterbens. Im Dokumentarfilm Eldorado (CH, DE 2018) stellt Imhoof die Frage nach gesellschaftlicher Verantwortung und Menschlichkeit im Zusammenhang mit Flucht und Migration. In seinem aktuellen Filmprojekt möchte er sich mit den Auswirkungen der Globalisierung beschäftigen, ausgehend von seiner eigenen Familiengeschichte. Wir können auf die weiteren Filmreisen Imhoofs gespannt sein.
Dario Iannotta
* 1992 in Zürich, 2012 Abschluss kaufmännische Berufslehre, 2021 Bachelorabschluss in Filmwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Zürich. Derzeit im Masterstudium in Filmwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Zürich. Arbeitet als Bibliotheksmitarbeiter im filmwissenschaftlichen Institut der Universität Zürich, als freier Filmkritiker und als freier Pornodarsteller.
(Stand: 2022)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]