BETTINA SPOERRI

MARIO (MARCEL GISLER)

SELECTION CINEMA

Der Filmautor Marcel Gisler hat in seinen Spiel- und Dokumentarfilmen schon wiederholt die Situation von homosexuellen Männern beleuchtet, so in Rosie (2013) und Electroboy (2014). Im neusten Film Mario prallen gesellschaftliche (Hetero-)Norm und Homosexualität besonders heftig aufeinander, denn hier ist die Handlung in einem stark mit (heterosexueller) Macho-Männlichkeit identifiziertem Umfeld angesiedelt: dem (Männer-)Fussball. Neben dem bröckelnden Imperium Armee/Militär scheint das noch eine der letzten Bastionen (heterosexuell konnotierter) Virilität zu sein, auch im 21. Jahrhundert und in Westeuropa. Viele Fussballer halten ihre Homosexualität vor der Öffentlichkeit bis heute geheim.

Der Kinospielfilm Mario erzählt von Mario (Max Hubacher), der auf dem Weg, als Stürmer ein vielversprechender Profifussballer zu werden, in seinem Club in Bern Konkurrenz in Gestalt von Leon (Aaron Altaras) aus Hannover erhält. Bald spüren die beiden jungen Männer ihre gegenseitige Anziehung und verlieben sich heftig ineinander. Obwohl sie die Beziehung geheim zu halten versuchen, wird die Liebe schnell entdeckt; die Ablehnung durch die Teamkollegen und das Mobbing wird innert kurzer Zeit beinahe unerträglich. Während sich Leon für die Liebe entscheidet, wählt Mario die Karriere und damit (Selbst-)Verleugnung; er tarnt seine Neigung sogar mit einer angeblichen Freundin (Jessy Moravec), mit der er auftritt und zusammenzieht.

Doch selbst die Alibifreundin hält das Versteckspiel eines Tages nicht mehr aus und verlässt ihn. Mario, der mittlerweile aufgrund des massiven psychischen Drucks an Schlafstörungen leidet, zieht für einen neuen Club nach Hamburg, wo Leon seit seinem Austreten aus dem Profifussball lebt, und eines Tages besucht er ihn, unangemeldet. Aber Leon ist bereits neu liiert. Mario deckt nicht zu, wo weiterhin Vorurteile und Ausgrenzung vorherrschen, er verwässert die politische Botschaft nicht, sondern zeigt auf, welche Folgen die homophobe Realität für die Betroffenen bedeutet. Letztlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Unterdrückung und Verleugnung der sexuellen Veranlagung oder Ausstieg aus dem Profifussball. Max Hubacher und Aaron Altaras spielen die Protagonisten mit vielen Facetten und glaubwürdig in ihrer Zerrissenheit, geleitet von einer versierten und engagierten Regie. Das Resultat ist ein aufwühlender Film, der konsequent den Fokus auf die inneren Kämpfe der Hauptfiguren richtet – und die Art und Weise, wie sozialer Druck ausgeübt wird, auch mitten in einer angeblich aufgeklärten und toleranten Gesellschaft. Mario erzählt deshalb eine universale Geschichte, die uns alle betrifft.

Bettina Spoerri
*1968, Dr. phil., studierte in Zürich, Berlin und Paris Germanistik, Philosophie, Theater- und Filmwissenschaften, danach Dozentin an Universitäten, der ETH, an der F&F. Begann 1998, als freie Filmkritikerin zu arbeiten und war Redaktorin (Film/Theater/Literatur) bei der NZZ. Mitglied Auswahlkommission FIFF 2010–12, Internat. Jury Fantoche 2013, mehrere Jahre VS-Mitglied der Filmjournalisten, Mitglied bei der Schweizer Filmakademie. Freie Schriftstellerin und Leiterin des Aargauer Literaturhauses. CINEMA-Redaktorin 2010–2017, heute Mitglied des CINEMA-Vorstands. www.seismograf.ch.
(Stand: 2021)
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