SELINA HANGARTNER

Z’BÄRG (JULIA TAL)

SELECTION CINEMA

Den alltäglichen Trott hinter sich lassen und die Tage stattdessen mit ehrlicher Arbeit an frischer Bergluft verbringen: In Julia Tals Z’Bärg wird die Fantasie so vieler junger Städter durchgespielt. Der Dokumentarfilm zeigt das junge Paar Sämi und Sarah, die den Sommer in den Bergen verbringen und sich im Berner Oberland als Älpler versuchen. Wenig zimperlich und voller Tatendrang machen sie sich an ihre tägliche Arbeit, weshalb den beiden die Sympathie der Zuschauer sicher ist. «Auf der Alm gibt es keine Sünde», zitiert Sämi einmal halb ironisch, aber dafür wäre auch keine Zeit, denn die beiden arbeiten konstant; füttern, melken, putzen, käsen. Dabei merken sie, dass einem auch in den Bergen nichts geschenkt wird und dass das Leben nahe der Natur allzu barsch sein kann. Ihr Alltag lässt nur wenig Raum für Träumereien. Die Kühe brechen aus, und auch das Melken und die Käseproduktion wollen dem Paar nicht auf Anhieb gelingen. Eine Frühgeburt im Stall und Kuhmist, der nicht nur an Gummistiefeln, sondern auch an Kleidern und Küchenutensilien klebt, machen den beiden zu schaffen.

Belohnt werden Sämi und Sarah mit atemberaubenden Blicken über die Bergwipfel hinweg, mit rosarotem Himmel beim Sonnenun­tergang oder etwa einem Bad im frischen Bergquellwasser. Gerade als das Paar etwas Routine erlangt hat, tauchen weitere Probleme auf, bei denen auch ein städtisches Publikum mitfühlen kann: Sie ärgern sich über ihren Chef, Öl im Feuer ist – wie im Flachland – das Geld. Ob sie sich im kommenden Sommer noch einmal der Zivilisation temporär entziehen wollen, wissen die beiden daher noch nicht. Mit solchen Gedanken kann man sich auf der Alm aber nur kurz aufhalten, denn dann ruft wieder die Arbeit.

Dank zurückhaltender Inszenierung ist Julia Tal mit Z’Bärg ein authentischer und unprätentiöser Film gelungen. Es herrscht ein Gefühl der Intimität, das die Kamera oft transparent erscheinen lässt. Das Paar interagiert über die meiste Zeit nur miteinander, selten bekommen sie Besuch von einem befreundeten Paar oder anderen Sennen, mit denen sie dann eifrig über die Schwierigkeiten beim Mel­ken diskutieren können. Dass die Problemlage in den Bergen doch ganz eine andere ist als zu Hause, kann der Zuschauer nur erahnen, denn Sämi und Sarah lernen wir jenseits der Almhütte leider nicht kennen. Das Porträt konzentriert sich stattdessen auf den unaufgeregten Alltag, das Konfliktpotenzial hält sich, trotz kurzzeitigem Intermezzo, in Grenzen. Die Bilder der Natur und der Tiere wecken in Z’Bärg Lust auf die frische Luft. Und der Stress, der den beiden vom Gesicht abzulesen ist, erzeugt einen realistischeren Blick auf den Heidi-Mythos. Ein Sommer auf der Alm scheint – da wird sich das Publikum nach Tals Z’Bärg einig sein – vor allem eines zu bedeuten: harte Arbeit.

Selina Hangartner
Assistentin und Doktorandin
*1990, studierte Film-, Politik- und Publizistikwissenschaft. Als Assistentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin lehrt und arbeitet sie am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich. Derzeit schreibt sie eine Dissertation zum Thema Selbstinszenierungen des frühen Tonfilms.
(Stand: 2020)
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