«Jetz muesi mit Gebät dehinder», sagte sich der alte Älpler, als ihm eine «Arme Seele» begegnete und einfach nicht mehr von seiner Seite wich. Arme Seelen sind im Volksglauben der Innerschweiz Ahnengeister, Wiederkehrer aus dem Jenseits, die für nicht bereute Untaten büssen und unter den Lebenden herumspuken. Sie sind meist harmlos, aber oft unheimlich; betet man für sie, lassen sie sich manchmal besänftigen. Ursprünglich stammt der Glaube aus vorchristlicher Zeit, einige Elemente übernahm der lokale Volkskatholizismus.
Für seinen Dokumentarfilm Arme Seelen lässt sich Edwin Beeler Geschichten erzählen: Bäuerinnen, Sennen und Priester aus der Innerschweiz schildern ihre Begegnungen mit Ahnengeistern. Diese sind oft, aber nicht immer gruselig: Wenn sie nicht weiter wisse, denke sie an ihren verstorbenen Ehemann, verrät eine alte Bäuerin. Dann spüre sie Trost und seine Unterstützung. Neben den Bewohnern dieser Gegend erzählen auch die Landschaften selber: Dunkle Wolken ziehen über Gipfel, Schatten spielen auf den steilen Hängen; die Mystik, die dieser archaische Landstrich ausstrahlt, wird durch die Aufnahmen sehr präsent.
Der Film ist eine ethnografische Beobachtung des Umgangs mit dem Tod, den Toten und dem Sterben. Ein Anliegen des Filmemachers war es auch, eine Glaubens- und Erzählkultur zu dokumentieren, die kurz vor dem Verschwinden steht. Das magische Denken und die Einbindung des Todes in den Alltag werden unter dem Fortschrittsdenken der rationalen Moderne als Aberglaube abgetan. Dabei legt der Film nahe, dass das Brauchtum selbst wie ein Ahnengeist ist: Es entspringt der geschichtlich gewachsenen Herkunft der Menschen und bildet ihren kulturellen und spirituellen Nährboden. Wie schon in seinem vorherigen Dokumentarfilm Gramper und Bosse (CH 2005), ein Porträt von Bahnangestellten der SBB, erwuchs das Interesse am Stoff aus biografischen Bezügen Beelers. In Arme Seelen kehrt er in die Welt seiner Kindheit zurück. Aufgewachsen in der Innerschweiz, bildeten der katholische Totenkult und seine Mythen einen wesentlichen Teil seiner Alltagskultur, und die Kruzifixe, Gebete und Heiligenbilder im Haus der Grossmutter waren prägende Eindrücke. Entgegen dem Trend zur Selbstthematisierung bringt der Filmemacher seine eigene Person jedoch nicht explizit ein, sondern filmt mit einer angenehmen Zurückhaltung, die zulässt, dass man sich ganz auf die Porträtierten und ihre Geschichten konzentriert.