Der Guru im Rolls Royce: Das Bild ging in den 1980er-Jahren durch die Medien und machte Bhagwan Shri Rajneesh, heute bekannt als Osho, weltweit berühmt-berüchtigt. Bhagwans Ashram im indischen Pune, gegründet in den 1970er-Jahren, wurde zur Anlaufstelle für Westler auf der Suche nach alternativen Lebensformen und der Befreiung von sozialen und psychischen Zwängen. Nach Konflikten mit der indischen Regierung zog Bhagwans Anhängerschaft 1981 in die USA um und gründete Rajneeshpuram, eine Grosskommune in Oregon. Was als spirituelle Utopie gedacht war, kippte bald in eine totalitär strukturierte Gesellschaft, geprägt von Paranoia und Grössenwahn.
Das Ziel des Dokumentarfilms Guru – Bhagwan, his Secretary and his Bodyguard von Sabine Gisiger und Beat Häner ist es, den Gründen für diesen Wandel auf die Spur zu kommen. Dazu arbeiten die Filmemacher mit dem strukturellen Mittel der Gegenüberstellung zweier wichtiger Figuren aus Bhagwans Gefolgschaft: Sheela Birnstiel, seiner ehemaligen Sekretärin, und Hugh Milne, seinem Leibwächter. Beide erzählen von ihrer Zeit im Ashram und ihrem anschliessenden Bruch mit dem Guru, seiner Lehre und seiner Gemeinschaft. Reichhaltiges, sorgfältig recherchiertes Archivmaterial, das das Leben im Ashram dokumentiert, bringt visuelle Abwechslung in den Film, der sonst ganz auf die Porträts von Birnstiel und Milne setzt.
Guru erzählt die Entwicklung von Bhagwans Gemeinschaft als klassische, chronologische Narration von Aufstieg und Zerfall: Was als Befreiung und Utopie beginnt, artet aus zum Grossunternehmen, das neue Abhängigkeiten schafft und in dessen Zentrum das Verlangen nach Macht und Geld steht. Es ist die Geschichte einer ideologischen Bewegung, die ihre Unschuld verliert; an die Stelle spiritueller Suche tritt die bedingungslose Unterwerfung unter starre Regeln einer Obrigkeit.
Die Konzentration auf die beiden gut ausgewählten Porträtierten schafft eine grosse Nähe zu ihnen und ihren Erlebnissen. Stellenweise wäre mehr Tiefe in der Betrachtung wünschenswert, um hinter dem Stereotyp eines mystischen Indiens mehr Differenzierung zu gewinnen. Allzu leicht laufen die Schlagworte Tantra, freier Sex, Verschmelzung von Ost und West sonst Gefahr, ein pauschal exotisiertes Bild von Spiritualität und eine vereinfachende Ost-West-Dichotomie abzugeben. Ausserdem wären mehr Kommentare zum Archivmaterial interessant geworden, um den Alltag im Ashram besser vorstellbar zu machen. Viele Fragen bleiben am Schluss des Films offen. Wie unterscheidet sich Bhagwans Gemeinschaft von anderen Ashrams? Wie sieht ihre Gegenwart aus? Das grösste Rätsel bleibt jedoch, worin nun eigentlich die einzigartige Anziehungskraft des Gurus bestand: Bis zum Schluss bleibt Rajneesh eine fremde, schillernde Figur.