«Weisst du, was Amenorrhoe ist?», fragt Sabine zu Beginn ihre Mutter, um sie gleich darauf zu beruhigen, sie habe ihre Menstruation im Gegensatz zu einigen Spitzensportlerinnen noch. In dieser Feststellung schwingt aber auch Bedauern mit, denn nichts scheint der Teenager Sabine mehr zu wollen, als eine professionelle Mittelstreckenläuferin zu werden – und Frau-Sein ist für sie dabei bloss hinderlich. Nichts lässt sie unversucht, um ihren Körper zu stählen, doch ihr Ziel liegt fern, und immer wieder driftet sie in Selbsthass ab. Gegen den Befehl ihres Trainers und Mentors trainiert sie auch an Wochenenden; sie lässt sich von Freundinnen heimlich filmen, um sich danach auf dem Bildschirm anzuschreien. Die Brüste sind zu gross, der Start zum Kotzen – und Marion Jones unerreichbar, auch wenn sie sich an einem Leichtathletik-Meeting in den Gängen vor Sabines Augen aufwärmt. Mit ihren Freundinnen verbringt sie die Abende im Sportinternat damit, weibliche Sportstars zu bewundern und gleichzeitig ihre Körper als zu männlich zu taxieren. «Magst du muskulöse Frauen?», fragt sie Rudy, bevor sie einander verschiedene Körperteile vorführen, gemeinsam die Erotik ihrer trainierten Körper feiern und schliesslich miteinander schlafen. Aber Sabine will viel weniger mit ihm als vielmehr er sein: der neue Star des Internats, so schnell, wie nur ein Mann sein kann. Sie erzählt ihm, wie Frauen in der damaligen DDR sich vor wichtigen Wettbewerben schwängern liessen, worauf sie wegen der Hormone Höchstleistungen erbrachten – und danach abtrieben. Wieso sollen Frauen ihren Körper nicht dort ausnützen, wo er ihnen ausnahmsweise hilft? Rudy wendet sich angeekelt ab.
Ursula Meiers erster Langspielfilm entstand als Beitrag zur Arte-Serie «männlich/weiblich» und findet im Spitzensport ein extremes Spannungsfeld besonders für Mädchen. Fast ausnahmslos verdienen Männer im Sport das X-fache ihrer weiblichen Kollegen, und sie erzielen höhere Fernsehquoten. Schliesslich sprinten sie ja schneller, springen höher, werfen weiter. Der Mann ist im Sport das Mass. Dies wird Sabine in der Pubertät schmerzhaft bewusst: Ihr Körper verändert sich nicht nur als Konsequenz des Trainings. Völlig unfunktionale Brüste wachsen – Fett ist ein Bremser. Für sie haben nur Muskeln ihre Berechtigung. Um die Spitze zu erreichen, muss man seinen Körper kontrollieren, doch die Pubertät zeigt dem Mädchen im Extrem, dass dies blosse Illusion ist. Wenn Sabine am Ende des Films beim Wettbewerb am Startpflock kleben bleibt, liegt in diesem Scheitern, in dieser Verweigerung ihr grösster Befreiungsschlag: Sie akzeptiert ihre körperliche Grenzen und wird vielleicht gar lernen, ihre Weiblichkeit zu mögen.
Louise Szpindel in der Rolle der launischen Sabine trägt mit ihrem Spiel und nicht zuletzt mit ihrem athletischen Aussehen viel zur Authentizität des Films bei. Auch dank der entfesselten Kamera und den vielen Jump Cuts scheint Ursula Meiers erster Langspielfilm streckenweise mehr Dokumentation denn Fiktion zu sein – wie schon in ihrem Kurzspielfilm Tous à table gelingt es ihr oft, kleine Momente grösster Wahrhaftigkeit einzufangen. (fg)