NICO GUTMANN

SAMSTAGABEND — BERICHT EINES FUSSBALLFREUNDES

ESSAY

1. Die Entscheidung

Basel gegen Zürich oder ins Kino gehen, oder könnte man sagen: Basel versus Kino? Ist ja egal, denn die Entscheidung war ziemlich klar: Basel! Ist man einmal vom Fussball infiziert, lässt er einen nicht mehr los. Einen Zwang würde ich das noch nicht nennen, doch jedes Spiel ist einmalig. Da kann das Kino gerne warten.

Ausrede Nummer eins: Der Film läuft sicher noch sechs Wochen.

Schändliche Ausrede Nummer zwei: Bald gibt es den Film auf DVD, oder ich schau ihn mir im Fernsehen an. Da kann ich wenigstens rauchen, wann ich will.

2. Der Weg in die heilige Stätte

Schon an der Rasse beginnt das Kribbeln: Sie ist das Tor zum Tempel, zur Kirche. Wie im Kino stehe ich an, doch im Stadion weiss ich nie, wie die Dramaturgie sein wird. Auch kann ich mich nicht im Vorfeld informieren. Im Gegensatz zum Film schlagen die Kritiker erst im Nachhinein zu. Sitzt man aber mal im Stadion oder im Kino, gilt beinahe dasselbe Gesetz, nämlich das des passi­ven Zuschauens. Einen wichtigen Unterschied gibt es für mich schon: Im Stadion bin ich der zwölfte Mann. Im Fussball kann ich mit lauten «EEFCCCEEEEBEEE»-Schreien den Film zu einem Happyend führen; dies erhoffe ich mir zumindest. Das funktioniert im Kino nicht, der Film ist unwiderruflich gemacht. Mitjohlen können wir im Kino allenfalls noch in der Rocky Horror Picture Show.

3. Der Ernst des Lebens hat soeben begonnen

Das Spiel läuft, und man fiebert mit. Wie in einem Krimi sitze ich da und verfolge den Film. Es gibt Spielszenen, da glaubt man, der Höhepunkt sei erreicht, doch dann stellt man unverhofft fest, dass das noch lange nicht der Fall ist. Ich muss gestehen: Das Gefühl, nahe vor der Ohnmacht zu sein, hatte ich bei einem Spiel des FC Basel schon ein paar Mal. Im Kino geschah mir das noch nie. Viel­leicht unverständlich, das kann ich gut akzeptieren, doch was mich wirklich ärgert, sind die witzi­gen Ignoranten, die sagen: Warum rennen alle hinter einem Ball her, gebt doch jedem so ein Leder, und man hat Ruhe. Dumpfbacken! Soll doch Othello zum Psychologen gehen und seinen mackerigen Eifersuchtswahn kurieren, dann hätte er auch kein Problem mehr, und die Nachwelt kein Theaterstück. Und Orson Welles keine Vorlage für seinen Film.

4. Die Pause - Die Halbzeit

Wie im Kino gibt es auch im Fussball eine Pause, damit der Umsatz ein bisschen gesteigert wird: Bier und Bratwurst statt Erdbeercornets und Cola.

So sind die Pissoirs, logischerweise nur für die männlichen Zuschauer, ein guter Treffpunkt, um die erste Halbzeit zu rekapitulieren.

5. Die Höhepunkte

Wild, lustvoll und unberechenbar, so empfinde ich den Film Chat noir, chat blanc von Emir Kusturica. Man wird in ein Karussell geworfen, man taucht ein und weiss nicht, wie einem geschieht. Kaum glaube ich mich sicher zu fühlen, werde ich schon wieder von einem Richtungswechsel über­rascht. Da erwachen die Totgeglaubten. Mit einem unglaublichen Pressing beginnt Kusturica seinen Film, und er behält das Tempo bis zum Schluss bei. In diesem Film gibt es für mich nicht bloss einen Höhepunkt, ich erlebe mehrere, und sie sind nicht voraussehbar. Ja, ein gutes Spiel ist wie ein Film von Kusturica.

6. Das Fazit

Der Indiana Jones des Abends hiess für einmal nicht Murat, sondern Hakan Yakin. Zürich wurde an diesem wunderbaren, verregneten Abend demontiert, und zwar so richtig übel.

Ins Kino gehe ich mit meiner Freundin und schaue mir vielleicht Christoph Schaubs Film an. Vor­her noch ein gemütliches Abendessen, mit gutem Rotwein oder so. Ins Stadion gehe ich mit meinen Jungs, bei denen man nicht weiss, ob sie der Wahn getroffen hat, sei es wegen dem Spiel oder dem Alkohol. Das Abendessen besteht aus Bier, im Winter aus Schnaps.

Was mit mir im Stadion passiert - im Kino hingegen selten so intensiv -, ist diese brachiale Emo­tionalität. Auf dem Platz gibt es nur Schwarz und Weiss, Gut und Böse. Die Gefühle überborden, und ich bin, je nach Spiel, für einen ganzen Tag gesättigt mit Emotionen. Das Kino sättigt das Bedürfnis nach feineren Nuancen, doch ich will keine Grautöne wie im Alltag, sondern Schwarz­weiss. Dieses Gefühl macht süchtig, man braucht es immer wieder von neuem.

Das Spiel gegen den FCZ wurde gewonnen. Wie gut, dass ich nicht im Kino war an diesem Abend. Doch wann und wie kommt man ins Kino, wenn man eine Saisonkarte für das Joggeli hat, und dann gibt es noch die attraktiven Auswärtsspiele, und übermorgen spielt Basel gegen Celtic Glasgow? Bei diesem Spiel geht es um alles oder nichts respektive um den Einzug in die Champions League. Ach - und der Schweizer Cup hat noch gar nicht begonnen. Geschätztes Kino, liebe Leinwand­helden, dies ist nicht böse gemeint: Ihr müsst warten bis zur Sommer- oder Winterpause.

Nico Gutmann
geb. 1970 in Lima (Peru). Filmausbildung in Madrid und an der HGK Zürich. Arbeitet als freier Filmschaffender.
(Stand: 2018)
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