URS HANGARTNER

CREDO (JONAS RAEBER)

SELECTION CINEMA

Eine Feder verfasst Zeilen in Schäfchenwölken-Schrift; gerichtet ist der Brief an einen «sehr geehrten Herrn». Der Schreibende ist ein Schaf, das seine Lebensumstände auf der Alp erläu­tert. Der Oberhirte kommt gerade auf Kurz­besuch, um sich in seinem Helikopter gleich wieder abzusetzen, in seine Villa weit weg auf der anderen Talseite. Das Treiben auf der Alp manifestiert sich als unbeschwerte Freizeitexis­tenz. Erlaubt wird dieses etwas andere Leben durch die fortschrittlich gesinnte Schäferin Paula, die ihren Schützlingen Lesen und Schrei­ben, Malen und Musizieren, Schachspielen und auch das Lieben gelehrt hat und die Herde in grösstmöglicher Freiheit gewähren lässt.

Als das nonkonformistische Schaf Ike­bana mit ihrer Rockband zum lauten Konzert anheben will, greift Hans der Hirte mit harter Fland durch. Er konfisziert das Eigentum der Schafe, schikaniert die Herde, beraubt sie ihrer Wolle und holt sich Ikebana in seine Hütte. Paula ist plötzlich verschwunden, worauf sich das Erzähler-Schaf aufmacht durch den be­drohlichen dunklen Wald. Im Dorf auf der an­deren Seite angekommen, wird es gewahr, wie sich hier Tiere und Menschen in friedlicher Ko­existenz ein Leben in Eintracht eingerichtet haben. Paula und Ikebana betreiben gemeinsam ein Café, wo Ikebana mit ihrer Band The Sheep Devils ein Konzert gibt. Die rockige Schluss­nummer trägt den Titel The System Needs Another Sheep to Blame. Der Ich-Erzähler schreibt am Cafetisch seinen Brief zu Ende («Diese Alp da oben sieht mich nie wieder ... »).

Credo ist der vierte Zeichentrickfilm seit 1990 aus dem Studio Swamp des Luzerner Autors und Regisseurs Jonas Raeber. Wie die früheren Werke kapriziert sich Credo auf eine gesellschaftliche Thematik, die satirisch-kritisch angegangen wird. Machtgehabe, Ausgren­zungsstrategien und Intoleranz der Kirche stehen diesmal im Zentrum. In diesem Zusam­menhang zeigt sich Credo als praktisch ange­wandtes Animationsfilmschaffen: Im Abspann erklärt Jonas Raeber seinen Austritt aus der Kirche. In aufwendiger neunmonatiger Pro­duktionszeit unter Beteiligung von zwanzig Mitarbeitenden sind über 10000 Einzelbilder entstanden. Während die Bilder von Hand gezeichnet wurden, erfolgte die Kolorierung digital mit dem Computer. Das persönliche «Glaubensbekenntnis» wartet mit einigem Bild- und Textwitz auf und ergötzt sich am Spiel mit Metaphern. Credo garantiert Unter­haltung und verliert gleichzeitig seinen kriti­schen Anspruch nicht.

Urs Hangartner
geb. 1958, arbeitet als Kulturjournalist (Schwerpunkte Film, Comics, Literatur, Musik) und Ausstellungsmacher. Seit 1999 redaktionelle Verantwortung für den Bereich Kino bei einer Zürcher Pendlerzeitung, lebt in Luzern.
(Stand: 2018)
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