Die Stärke des Animationsfilms liegt in seinen Darstellungsmöglichkeiten der uneingeschränkten Transformation. Er bietet Wunsch und Wirklichkeit gleichermassen ein Zuhause und teilt sein Reich mit Märchen und Fabel, wo das Wunderbare sich ganz selbstverständlich in die Welt des Realen fügt. Was liegt da näher, als sich zum T hema einer filmischen Animation der Wandlung par excellence anzunehmen: nämlich derjenigen der geschlechtlichen Identität? Im Alltag von jeder und jedem kontrastieren in der Regel Fremd- und Eigenbilder in ernüchternder Weise. Geht es um Schönheitsideale und sanktionierte Geschlechterrollen, spitzt sich die ernüchternde Konfrontation zwischen realen Gegebenheiten und Sehnsüchten der Fantasie oft noch zu. Die Diskussion um Transgender möchte nicht zuletzt die gesellschaftlichen Normen rund um die geschlechtliche - und damit verbundene körperliche - Identität sichtbar machen, sie aufweichen und mögliche Grenzen durchlässiger gestalten.
Einen solch spielerischen Umgang mit Rollen und Identitäten thematisiert Rita Küngs schwungvolle und virtuos gezeichnete Animation (schwarzer Konturenstrich mit aquarellierten Flächen). Die Handlung spielt in einer Bar - an der Theke eine etwas traurige Gestalt, die sich über ihr Weinglas beugt, mit roten Lippen und Bartstoppeln und mit reichlich spriessenden Brusthaaren im weiten Ausschnitt. Verliebte Blicke Richtung Barman, der seiner Arbeitsroutine nachgeht, verfehlen ihr Ziel. Und doch nimmt das Begehren Form an: wenn sich der ausgeleertc Wein auf der Theke zur sinnlichen Schönen wandelt, die sich wollüstig räkelt unter den «Zärtlichkeiten» des Barmixers - der die rote Flüssigkeit aufwischt. Oder wenn sich unter dem Wasserstrahl des Abwaschbeckens die betörende Venus Botticellis reckt und streckt. Oder wenn den Rauch ringen der Zigarette eine üppig ausgestattete Eva entsteigt, die ihrem Adonis auf der Mondsichel zuschwebt. Doch die Träume sind von kurzer Dauer, die farbenprächtigen Gedankenspiele verflüchtigen sich im trostlosen Graublau der Bar-Einöde.
Erst der Gang in die Toilette bringt Bewegung in das scheinbar Festgefügte: Der Barman enthüllt sich als Barwoman. Ihr gestreiftes Gilet wird zum wundersamen Chamäleon, das die ebenfalls in der Abgeschiedenheit des Klos gelandete Möchtegern-Venus mit seiner langen Zunge zur Traumfrau leckt. Verkehrte Welt - oder: Alles ist möglich. Jedenfalls sitzt jetzt nicht mehr wie zu Beginn von différence ein knallig-rotes Chamäleon auf dem Kristallleuchter, umschwirrt von einem brummenden Insekt - nun umschwärmt das Chamäleon den glitzernden Lüster unter dem wachsamen Auge des in der Mitte platzierten Käfers. Ein mit Bravour umgesetztes, heiteres Spiel um Sein und Schein, um Liebe und Narzissmus, das auch international viel Anerkennung eingeheimst hat.