Eine Mutter deponiert ihre Tochter in einem abgelegenen Mädcheninternat in den Alpen. Blank geputzte Gänge, steinerne Treppen, Nonnen als kurz angebundene Ordnungshüterinnen beherrschen den Raum. Ein junger Pfarrer (Jürgen Vogel) dirigiert den artig drapierten Mädchenchor. Lea (Maria Simon), die Neue, hat einen urbanen Lackmantel am Körper, hektische Musik aut dem Kopfhörer, eine Sonnenbrille vor den Augen. Den Vater hat sie bloss noch kurz am Draht, schluchzend («Du, die hat mich einfach in ein Internat gesteckt»), ohne Echo, dann ist auch dieser Faden durchgetrennt.
Lea wird von einer Gruppe von Freundinnen ohne Umschweife als Vertraute aufgenommen. Man raucht und macht Sprüche. Namentlich die Zimmerkollegin Katrin (Julia Jentsch) wird sofort zur Komplizin; die beiden hecken einen Plan aus: Der Pfarrer soll verführt und anschliessend als Täter denunziert werden. So will man von der Schule wegkommen. Gesagt, getan: Lea sucht die körperliche Nähe zum unbeholfenen Geistlichen, gebraucht einschlägige Tricks, übt das stilgerechte Verführen mit der neuen Freundin.
Die sich daraus ergebenden Begegnungen zwischen Lea und dem Pfarrer bringen schrittweise Momente der uneingestandenen Wahrheit: Beim Simulieren körperlicher Schmerzen gerät sie in wahre seelische Nöte, schluchzt. Ihre Einsamkeit dringt durch. Später, nach einem schnellen, gepressten Kuss im Wald - wo sie den Pfarrer bis zu einer einsamen Hütte gelockt hat -, ist sie betrübt und zugleich bezaubert. Schliesslich kommt es zur ersten und einzigen Liebesbegegnung.
Der Rest ist Konflikt, Verwindung und Verarbeitung des Geschehenen. Lea und der Pfarrer kollidieren im Beichtstuhl mit der Unausweichlichkeit der zugewiesenen Rollen. Katrin deckt die Affäre aus Eifersucht auf. Die Nonnen sind in Aufruhr. Lea gibt ihre Liebe preis, kämpft aber umso verbissener darum, dass sie vom Geliebten nicht verleugnet wird. Sie manifestiert gar ihre Gefühle über die klösterliche Lautsprecheranlage. Es ergibt sich eine letzte Begegnung mit dem Pfarrer, bevor die drei aufmüpfigen jungen Frauen via Autostopp das unbestimmte Weite suchen.
Zornige Küsse schwebt zwischen Radikalität - der Regie, der Zuwendung zur weiblichen Hauptperson, der intensiv-sorgfältigen Kamera - und übergrosser Simplizität in Sachen Plot. Die karge Modellhaftigkeit und «Zeitlosigkeit» des Dramas liessen sich als vertretbare Entscheidung einstufen, wenn die «Personen» dadurch mehr Eigengewicht erhielten. Die Figur der Lea lebt zwar davon, dass die Kamera sie fast ohne Einschränkung zum Zentrum ihrer Optik macht; sie entfaltet aber ihre Qualitäten vor allem auf emotionaler Ebene. Jürgen Vogels Pfarrer ist glaubwürdig deshalb, weil mangelnde Beweglichkeit und Plastizität von der Konsequenz und dem bewundernswerten Ernst der Interpretation aufgefangen werden. Er wird jedoch von Drehbuch und Regie behandelt, als sei er eine Spielfigur, die man jederzeit hinter dem Vorhang hervorholen und verschwinden lassen kann. Dies und manches andere - das Schmieden von Intrigen, die versteckte Zeugenschaft hinter der Säule, die Entheiligung sakraler Objekte, die Liebesbegegnung in der freien Natur - erinnern sehr an Trivialgenres, doch mit zu wenig Spielfreude, als dass der Film daran gewinnen könnte.