«Al-sabbar» bedeutet im Arabischen sowohl «Kaktusfeige» wie auch «Geduld». Kakteen sind zäh, sie trotzen Bulldozern und sogar Feuer. Von den 400 palästinensischen Dörfern, die seit der Staatsgründung Israels 1948 zerstört wurden, zeugen oft nur noch Kakteenhaine.
Al-Sabbar nennt Patrick Bürge seine Dokumentation über Palästinenser mit israelischem Pass auf der Suche nach ihrer Identität. Als Flüchtlinge im eigenen Land wohnen sie oft nicht weit weg von ihren ursprünglichen Dörfern. Ihre Kultur wird vom Regime totgeschwiegen oder als jüdisch vereinnahmt. Obwohl die Vertreibung der Palästinenser durch die Israelis über fünfzig Jahre zurückliegt, ist sie nicht nur für die ältere Generation - die teilweise noch immer um ihr Land prozessiert - prägend. Als Auftakt zeigt die Kamera einen arabischen Jungen mit einem Judenstern, der seine Schulkameraden im Spiel «umbringt». Eine poetischere Art der Erinnerung pflegt die populäre Sängerin Rim Banna, die alte Volkslieder neu interpretiert. Ihre sinnliche Musik begleitet und inspiriert den Film.
Der fortschreitenden «Israelisierung» versuchen viele Palästinenser mit der Besinnung auf die eigene Geschichte zu begegnen. So auch
Bannas Mutter, Zuhaira Sabbagh, die als Leiterin einer Gruppe von Fotografinnen eine Ausstellung über alte arabische Dörfer im heutigen Israel plant. Bürge begleitet die Gruppe auf der Suche nach Spuren ihrer Vorfahren. Die Atmosphäre ist gespannt, viele bürokratische Hürden sind zu nehmen. Kontrollposten, Sicherheitsbeauftragte und die Bewohner von ehemals arabischen Häusern behandeln sie distanziert oder mit offener Feindseligkeit. Auf ihren Recherchen trifft Sabbagh Hans Bernath, einen achtzigjährigen Schweizer, der mit seiner Frau seit 1948 als IKRK-Delegierter palästinensische Flüchtlinge betreut. Das Paar bereitet gerade seine Rückkehr vor. Bernath entpuppt sich als fotografisch gut dokumentierter Zeitzeuge. Doch Erinnerungen an problematische Ereignisse behält er für sich.
Auf dem verminten und komplexen Terrain des langen Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern ist Bürge gut beraten, keine Objektivität anzustreben. Seine Perspektive ist weitgehend die der Fotografengruppe. Wenn die Kamera jüdisches Territorium betritt, Männer im Kaftan und israelische Soldaten mit lässig umgehängten Maschinengewehren zeigt, werden die Bilder nervös und unscharf, die Schnittfrequenz erhöht sich. Bei den teilweise heftigen Konfrontationen bleibt die Kamera nahe am Geschehen, nie aber wird sie voyeuristisch. Mitunter allerdings wäre mit Feinschliffen am Schnitt mehr Klarheit zu erreichen gewesen.
Eine transparente Empathie, gepaart mit einer musikalischen und rhythmischen Sensibilität, verleiht Al-Sabbar über seinen hohen Informationsgehalt hinaus eine grosse atmosphärische und emotionale Dichte. Bürges Film gibt einer Kultur Stimme und Bilder, die in unseren Breiten nur allzu oft auf Steine schmeissende und Bomben legende Attentäter reduziert wurde und noch immer wird.