Im Pariser Marais-Quartier ist seine Wohnung noch intakt, das handgekritzelte Schildchen «Meienberg» hängt noch immer neben der Tür. Eine alte Nachbarin lässt ihm Grüsse ausrichten. Der 1993 verstorbene Journalist und Schriftsteller, der die Schweiz polarisierte wie kein anderer, ist noch in seinem Fehlen präsent. Wenn er als Auftakt von seiner fast erotischen Lust beim Schreiben erzählt, von seinem Willen, den Unterprivilegierten eine Stimme zu verleihen, scheinen sein Enthusiasmus, sein Engagement, seine Masslosigkeit nicht nur auf der Leinwand im Hier und Jetzt stattzufinden.
Tobias Wyss macht sich auf biografische Spurensuche: stumme Autofahrten in ZürichNord, bei gleissendem Sonnenschein durchs Appenzell, begleitet von einem Radiogespräch zwischen «einem vollständig erhaltenen Konservativen, der politischen Saftwurzel Broger», und seinem liebsten Gegner. Niklaus Meienberg hat so viele Spuren hinterlassen, dass die Selektion anspruchsvoller als die Suche war. Nach einer knappen Einführung mit alten Fotos und zwei Super-8-Filmen trifft Wyss über dreissig Freunde und Kritiker des streitbaren Geistes. Er lässt sie an einem selbst gewählten Ort eine jeweils für sie wichtige Passage vorlesen. Der ehemalige Korpskommandant Josef Feldmann ergötzt sich an der Beschreibung eines ihm aus eigener Kinderstube wohl bekannten Rituals «es Opferli bringä»: Eine mit verlockenden Süssigkeiten gefüllte Schüssel auf dem Salontisch soll bis zu Weihnachten unangetastet bleiben.
Von seiner Präsenz und seiner elektrisierenden Energie ist oft die Rede. Aber auch von seinen problematischen Seiten: seine fast manische Jagd nach Frauen, seine Depressionen, seine Fixierung auf Entscheidungsträger und auf ihre Anerkennung. Eine wortlose Szene, in der Meienberg den damaligen Blick-Chef Uebersax kritisch und bewundernd zugleich mustert, spricht Bände. «Er wollte ein Saubub sein, aber als solcher auch gesellschaftlich anerkannt werden», beschreibt Alexander Seiler Meienbergs Dilemma. Nach der verstörenden Erfahrung des Golfkriegs und einem anonymen Überfall verliert er seine Lebenskraft: «Meine Weitsicht war nicht mehr gefragt, nicht einmal bei mir selber», schreibt Meienberg in seinem Abschiedsbrief.
Seiner schwierigen Suche nach einer neuen Identität in den letzten Jahren misst Wyss besonderes Gewicht bei. Nach Marianne Fehrs ausführlicher Biografie kann es ihm allerdings kaum gelingen, neue Aspekte zu beleuchten. Vielleicht wäre Wyss’ textbebildernde Enquete, die formal an Richard Dindos literarische Porträts erinnert, ergiebiger gewesen, wenn er sich auf weniger Menschen konzentriert und die Annäherung essayistischer, persönlicher gewagt hätte. Die intensivsten Szenen sind denn auch Meienbergs pointierte Statements aus früheren Fernseh- und Radiosendungen. Mit welcher Unerbittlichkeit er in einem abgerissenen Trenchcoat den Herausgeber und den damaligen Chefredaktor des Tages-Anzeigers wie Schulbuben abkanzelt, ist heute noch eindrücklich. Auch wenn Der Meienberg fast ausschliesslich Bekanntes beleuchtet, so ist das materialreiche und kurzweilige Porträt des radikalen und energiegeladenen Humanisten doch sehenswert.