Lange Zeit hat das schweizerische Filmförderungsgesetz sein Bemühen um eine «künstlerische» Anerkennung mit «Qualität» gleichgesetzt. Um einiges unverfrorener kommt es heute den Wünschen einiger Produzenten und Regisseuren nach, die diese qualitative Wertschätzung durch ein «objektiveres» Kriterium ersetzt haben wollten: dasjenige des Publikumserfolgs.
Als erste Reaktion auf eine solche Einstellung mag man darin die Umsetzung des Sprichworts sehen: Wer hat, dem wird gegeben. Dieser Wandel in der Filmförderung steht für den Übergang, der sich nicht nur in der Ideologie der Filmverwalter der Sektion Film in Bern spiegelt. Es ist der Wandel von einer künstlerischen Auffassung des Films, dessen Auswahl und Ausrichtungen diskutierbar, dessen Normen meistens auf die - mutmasslichen - Erwartungen des Publikums hin und damit auf eine Vorausnahme des Erfolgs ausgerichtet sind, zu einem kommerziellen Verständnis im engeren Sinn, das auf der Rentabilität, dem Markt, dem kurzfristigen, nachprüfbaren Erfolg basiert. Verhüllte bis anhin das Kriterium «Qualität» seine Beziehung zum «Erfolg», möchte man meinen, dass sich die Situation heute folglich gar nicht geändert hat, ja dass sich die Verhältnisse einfach «klarer» und weniger «heuchlerisch» darstellen. Dem ist aber nicht so: Die Lage hat sich durch dieses Bekenntnis verschärft oder tendiert jedenfalls noch stärker in die eine Richtung. Einerseits hatte der ideologische Diskurs in seiner humanistischen und vagen ästhetisierenden Ausrichtung den Vorteil, Widersprüche mit sich zu tragen oder sie zuzulassen. So war es beispielsweise möglich, Auswahl und Kriterien zu diskutieren, und man vermittelte den Eindruck (oder die Illusion), sich eines Besseren belehren zu lassen (durch Rekurse, Beanstandungen oder Polemiken). Er umriss - mitunter nur zum Schein - einen Bereich, in dem Widersprüche spielten, und einen Manövrierraum, den sich die Antragsteller zunutze machen konnten. Heute existiert dieser Freiraum nicht mehr, genauso wenig wie der Begriff des Service public, dem im Zuge der liberalen Wirtschaftsideologie in gewissen Tätigkeitsbereichen (man denke an die Post, das Energie- und das Gesundheitswesen) die Gültigkeit abgesprochen wurde. Seitdem ist «alles erlaubt». Jedenfalls belässt es die neue «Erfolgsideologie» nicht dabei, sich ohne die altmodische Maske der «Qualität» zu zeigen, mit der sie sich zuvor herausgeputzt hat: Sie verpasst der Realität der Schweizer Filmproduktion ein neues Kostüm. Wie sieht dieses aus? Um das herauszufinden, muss man den Begriff des Erfolgs, der zum Prüfstein der neuen Förderungspolitik avancierte, näher betrachten. Wie lässt sich der Erfolg eines Films - oder irgendeines anderen künstlerischen Werks - bestimmen?
Erfolg verweist auf die Beliebtheit beim Publikum: Je zahlreicher das Publikum, das sich einen Film anschaut, umso grösser ist sein Erfolg. Diese Schlussfolgerung impliziert, dass sich die Filmproduktion im Bereich der «Massenkultur» ansiedelt. Sie bietet eine Definition für die Kunstwerke an, die darin Vorkommen können: Das sind die Kunstwerke für die Masse. In diese Kategorie fallen zwei Arten von Werken. Einerseits die alten Œuvres, die unter anderen sozioökonomischen Bedingungen geschaffen wurden und mit der Zeit ihr Renommee und ihren Erfolg erworben haben, die sie zu Massenprodukten machten: so die während zwei Jahrhunderten vergessene Malerei von Georges La Tour oder die Gemälde des - zu Lebzeiten verkannten - Vincent van Gogh. Auch das Kino kennt dieses Phänomen zur Genüge: Es gibt Filme, die bei ihrer Erstaufführung floppten, um später legendär und geradezu fetischisiert - und für eine Réédition restauriert - zu werden. Sie sind unablässig im TV zu sehen, auf Video zu haben und werden wieder und wieder auf die Programme der Kinos gesetzt - ganz im Gegensatz zum Los, das ihnen durch das Publikum bei ihrem ersten Erscheinen beschieden war. Dazu gehören L’Atalante (Jean Vigo, F 1934), Modern Times (Charles Chaplin, USA 1936), La Règle du jeu (Jean Renoir, F 1939), Vivre sa vie (Jean-Luc Godard, F 1962), um nur einige zu nennen. Dieses Phänomen ist äusserst wichtig, und es wird noch darauf zurückzukommen sein.
Andererseits sind da die zeitgenössischen Werke. Heutzutage darf kein Massenkunstwerk das Risiko eines Misserfolgs eingehen. Dazu muss es einer Reihe von Kriterien entsprechen, die der amerikanische Philosoph Noël Carrol in einer kürzlich veröffentlichten Studie so zusammenfasst: Seine narrativen Formen, seine Symbolsprache, die Gefühle, die es hervorruft, sollen beabsichtigterweise einen leichten und unmittelbaren Zugang für ein grösstmögliches, wenig oder gar nicht gebildetes Publikum bieten. Wobei das Werk mithilft, die Erwartungen durch die Wiederholung und das Stereotyp aufzubauen und zu verstärken.1 An solchen Parametern orientieren sich ganz unverblümt «industrielle» Filmemacher wie zum Beispiel Titanic -Regisseur James Cameron: darauf achten, das Publikum nicht zu verwirren, seine Neugier stillen und Erwartungen erfüllen, ihm zu verstehen geben, was genau passiert, in dem Moment wos passiert, die «Kühnheit» eines Flashbacks durch eine Erklärung ausgleichen usw. - kurzum Fragestellungen, die sich ganz grundsätzlich von denen unterscheiden, die sich ein John Ford, Fritz Lang oder Alfred Hitchcock stellten. Cameron beruft sich übrigens seinerseits auf David Lean.2
Die grundsätzliche Unterschiedlichkeit dieser zwei Kategorien von Kunstwerken für die Masse ist offensichtlich: Erstere entstand in einem Kontext, der keinem vergleichbaren Druck ausgesetzt war, wie dies für die zweite Kategorie der Fall war. Und auch wenn der gänzliche oder weitgehende kommerzielle Misserfolg einen empfindlichen Einfluss auf eine Karriere haben konnte - so beispielsweise im Fall des Filmemachers Jean Grémillon, bei dem zusätzlich eine erklärte Feindseligkeit seinem «Beruf» gegenüber hinzukam (Beispiel: L’Amour d’une femme, F 1953) -, hat doch die Zeit zumindest einen Teil der Wunden geheilt, und das Werk hat seine Gültigkeit bewiesen. Die Misserfolge hingegen, die sich im Laufe der Zeit ansammeln und denen man heute gegenübersteht, kennen kein Pardon. Umso weniger, als der unmittelbare Erfolg zum einzigen Kriterium einer weiteren Förderung wird!
Denn in der Schweiz basiert die staatliche Förderung auf dem Modell eines industriellen Systems, das sich seinerseits dadurch charakterisiert, dass es nicht von der öffentlichen Hand abhängt. Diese Förderungspolitik vermischt so die staatliche Intervention (Produktionsförderung, Subventionen) mit dem Gesetz der Rentabilität. Dabei ist es unvermeidlich, dass die Möglichkeit, ein Autorenkino zu entwickeln, verschwindet. Eine «Autorenideologie» beinhaltet - und dies seit 19103 - Originalität, die Verteidigung der eigenen Sichtweise gegen diejenige der Produzenten, die Einsamkeit, die Überraschung, den Bruch: Allesamt Verhaltensweisen, mit denen man sich vielleicht auch innerhalb der Kinoindustrie durchsetzen kann, wenn man den Spielraum auszunützen weiss. Die «Autorenpolitik», dies nur zur Erinnerung, gründete auf dem Vorbild von Filmemachern, die in der industriellen Filmproduktion Hollywoods arbeiteten: Hitchcock, Hawks, Renoir und Lang. So behauptet man sich aber sicherlich nicht in einem «unterstützenden» System, in dem das Damoklesschwert des Erfolgs jedes Risiko untersagt. Die Absurdität eines solchen Systems liegt schon seit längerem klar vor Augen, ebenso wie diejenige einer «Rentabilität» auf Grund der Zuschauerzahlen, womit eine Idee sich definitiv konkretisierte, die seit den Siebzigerjahren hartnäckig ihr unaufhörliches Scheitern unter Beweis stellt.
Seit dem Entstehen des neuen Schweizer Films (sowohl in der französischen als auch in der deutschen Schweiz, im Spiel- und im Dokumentarfilm), seit in den Sechzigerjahren ganz unterschiedliche Bewegungen ihren Anfang nahmen - ausgehend von sehr persönlichen und eigenwilligen Projekten, die ganz und gar nicht den Erwartungen eines von oben gemutmassten Publikums entsprachen -, wird man faktisch Zeuge einer zunehmenden Banalisierung des einheimischen Films, ja seiner radikalen Auslöschung. Nun berührt dieses Phänomen nicht nur die junge Generation von Filmemachern, die in einem anderen Kontext aufgewachsen sind, der weniger empfänglich für die Originalität und die Ideale der ideologischen Revolte der Sechzigerjahre ist, sondern auch die Regisseure aus jener Zeit: Angesichts der Schwierigkeiten, ihre Projekte zu einem guten Ende zu führen, konnte man ihre zunehmende Lähmung mitverfolgen - von wenigen Ausnahmen abgesehen. Claude Goretta, Thomas Körfer, Francis Reusser und Marcel Schüpbach, die dem Publikumserfolg «vorauseilten» und versuchten, solchen Erwartungen zu entsprechen - ganz unabhängig davon, ob sie damit reüssierten oder nicht -, haben zunehmend anonyme Filme geschaffen. Mit Ausnahme von Alain Tanner und Fredi Murer, die mit unleugbaren Einschränkungen und Konzessionen in ihrem anfänglichen Engagement verharren, und denjenigen, die sich in einem «autorisierten» Spielraum bewegen (wo man sie andererseits auch festschreibt) wie Véronique Goël oder HHK Schoenherr, war das Zerwürfnis noch nie so gross.
Die Diskussionen um den Begriff des Autors und des Autorenkinos, die im Ciné-Bulletin geführt wurden, zeigen übrigens zur Genüge, wie ein grosser Teil der in dieser Sparte Tätigen sich sehr gut in eine Situation fügen, in der das Ziel der Filmproduktion nicht mehr der Ausdruck eines persönlichen Standpunkts ist, sondern die Realisierung eines standardisierten Produkts - daher das Beharren auf einer «Technik» des Drehbuchs,4 dessen Vorbild klar das Fernsehen ist.5 Weil es aber nicht minder wichtig ist, auf dem internationalen Parkett und damit auch dem internationalen Markt wahrgenommen zu werden, braucht man Autorennamen und annektiert dafür bei Bedarf Regisseure wie Oliveira, Angelopoulos, Iosseliani, Carax und Resnais in die «Liste des Schweizer Films», indem man sich auf eine lächerliche finanzielle Beteiligung an ihren Filmen beruft.
Will die Schweiz einem filmischen Ausdruck Existenz verleihen, und dies in seinem ganzen Formenspektrum von der Fiktion zur Dokumentation, aber auch vom experimentellen zum kinofähigen narrativen Film, ist sie gezwungen, ihre Förderungskriterien zumindest zu diversifizieren, und muss aufhören zu glauben, die gute Auswahl zu treffen, indem sie sich regelmässig für normierte, standardisierte und letztlich unbedeutende Produkte entscheidet.
Einmal mehr dient Belgien als Gegenbeispiel, und dies schon seit längerer Zeit: Dieser Staat unterstützt eine vielfältige Filmkultur mit all ihren Eigenheiten: Henri Storck und Charles Dekeukelaire arbeiten schon seit Jahrzehnten, und heutzutage hat das belgische Kino stolz die Brüder Dardenne in Cannes (ein Erfolg!) vorzuweisen, Boris Lehman in Locarno, Montreal oder Riga, ganz zu schweigen von Chantal Akermann, André Delvaux, Luc de Heusch, Marcel Broodthaers oder dem Mouvement Cobra.
Die heutige Situation unterscheidet sich zweifellos von derjenigen in den Sechziger-, Siebzigerjahren, als sich der neue Schweizer Film herausbildete: Wer damals einen Film drehte, bewegte sich in einem kulturellen und künstlerischen Raum, in dem dies als kritischer Beitrag zur nationalen Kultur verstanden wurde. Der Kampf für die Anerkennung eines solchen im Kino, in Presse, Filmklubs und im Fernsehen bestand hauptsächlich darin, aut diesen Raum des Ausdrucks hinzuweisen und die Gleichgültigkeit des Publikums zu brandmarken sowie daraus folgend die Schaltstellen der Medien und andere zu kritisieren, welche die populären Erwartungen und Vorlieben mitformten. Vorkämpfer waren dabei die Filmemacher. Sie intervenierten als Kollektiv oder Gruppe auch im finanziellen Bereich, unterstützt oder begleitet von gewissen Filmkritikern. Heute hingegen hat die Herausbildung einer «Produzentenschicht» - wovon die meisten mit dem «jungen Schweizer Film» ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben, bevor sie ganz (Citel) oder fast ganz (Henchoz, Boner) verschwunden sind, und nun andere von dem bereits installierten System leben - einen perversen Mechanismus zur Folge, in dem das künstlerische Schaffen einen untergeordneten Platz einnimmt. Diese «Schicht» ist ständig darum besorgt, ihre Position zu stärken, indem sie alles durch ihre Hände gehen lässt - um damit Professionalität zu garantieren. Sie hat auf die dogmatische Vereinbarung des Erfolgs als Förderungskriterium hingearbeitet, und sie ist es, die im Dialog mit den Behörden steht, die den Schweizer Film repräsentieren.
Es ist offensichtlich, dass dies die Parodie einer Kinoindustrie ist, die der Staat gutheisst und die sich in ihrer Fiktionalität noch dadurch verstärkt, indem sie alle betroffenen Sektoren besetzt: Die Schulen vermitteln die Konventionen, welche die Sparte verlangt; in der Weiterbildung der Filmberufe arbeitet man auf die Anforderungen der Rentabilität hin; die Produzenten vergewissern sich der von den Verleihern erwarteten Konformität, indem sie Drehbücher umschreiben lassen; die Presse stimmt in den Chor ein, indem sie die kommerziellen Erfolge abfeiert... Dazu kommt, dass die reflektierende Rolle der Filmkritik aus der Schweizer Presse verschwunden ist, was ein beachtliches Problem darstellt.
Seit den Zehner-, Zwanzigerjahren - je nach Land - hat die kritische, theoretische und ästhetische Reflexion die Entwicklung des Kinos begleitet, indem sie sich sowohl ans Publikum als auch an die Filmemacher und die Welt der Kultur wandte.6 Heutzutage steht vor allem eine Zelebrierung der kommerziellen Erfolge im Vordergrund, die keinerlei Reflexion beinhaltet. Ausserdem findet man Gefallen daran, ein etwas weniger leicht zugängliches Kino zurückzuweisen: Man verbreitet Klischees über die Langeweile und die Abneigung des Publikums gegenüber dem Schweizer Autorenfilm - wie wenn es die Aufgabe der Kritik wäre, die Einstellungen derjenigen nachzuahmen oder vorauszunehmen, an die sich das Werk (mutmasslich) richtet. So konnte man beispielsweise kürzlich über einem Standbild aus Pota X (Léos Carax, F/CH/D 1999) in der Tribune de Genève folgende nüchterne Legende als Klassifizierung lesen: «ungeniessbar».
Übersetzung: Doris Senn