LILIAN RÄBER

DAS STILLE HAUS (CHRISTOF VORSTER)

SELECTION CINEMA

Für seine Filme wählt Christof Vorster Themen vom Zuschnitt US-amerikanischer Psychothriller: Es geht um Geld, Sex, Eifersucht und Freiheit. Sein erster Spielfilm Schatten der Liebe (1992) handelte von finsteren Machenschaften in der Schwulenszene Zürichs. Auch in Das stille Haus tauchen klassische Thrillerelemente auf: Die beiden Schwestern Jacqueline und Helen teilen sich die Leitung eines Hotels und - vorerst ohne Jacquelines Wissen - auch den Mann. Die beklemmende Atmosphäre während der Winterpause wird mit der Ankunft des jungen, begehrenswerten Mark durchbrochen. Er nimmt sich zuerst der betrogenen Jacqueline an, und später, als der betrügerische Ehemann durch einen beiläufigen Mord beiseite geschafft ist, auch ihrer Schwester. Wieder teilen sich die beiden Frauen einen Mann, und wieder scheint die kühle, zugeknöpfte, blonde Helen unter der Oberfläche aufregender als die dunkelhaarige, offen sehnsüchtige Jacqueline. Diese zieht die Konsequenzen und bricht aus dem schicksalhaften Dreieck, das sich stets neu aufbaut, aus.

Zu offensichtlich hantiert Christof Vorster mit vieldeutigen Genre-Insignien. Bereits im Vorspann entdeckt Jacqueline in der Autowaschanlage, daß vor ihr ein Leichenwagen an der Reihe ist. Später, als Mark auftaucht, folgt ihm bedeutungsschwangere Musik auf Schritt und Tritt und ersetzt die Spannung, die in der Inszenierung fehlt. Selbst die Dialoge scheinen aus Versatzstücken bekannter Vorbilder zusammengesetzt und hallen hohl nach. Mark hingegen besetzt die ursprünglich weibliche Rolle des Sexualobjekts und Handlungskatalysators. Er ist kernig, hat einen schmucken Dreitagebart, einen kleinen Ring im Ohr und ein Lederband um den Hals. Die begehrlichen

Blicke - jene der Frauen und jene der Kamera - beziehen sich auf seinen Körper. Dieser Rollentausch der Geschlechterfunktion erzeugt eine Irritation, die dem Film einen besonderen Reiz gibt. Trotzdem ist es Vorster nicht gelungen, das zu schaffen, woran ihm gelegen war: einen spannenden Film.

Lilian Räber
geb. 1967, ist Historikerin und arbeitet als freie Filmjournalistin - vorwiegend für die WochenZeitung, lebt in Zürich.
(Stand: 2019)
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