DORIS SENN

A TICKLE IN THE HEART (STEFAN SCHWIETERT)

SELECTION CINEMA

»Ein Kitzeln im Herz« müsse Musik hervorrufen, meinte seinerzeit Großvater Epstein, und das bringe bei ihm nur ein »klein jiddisch Liedele« zuwege. Die jüdisch-polnischen Epsteins emigrierten wie viele andere um die Jahrhundertwende aus Osteuropa in die USA. In ihrem Bündel reiste traditionelles jiddisches Lied- und Musikgut mit. »Klezmer«, als Begriff ursprünglich etwas abschätzig für die Melodien umherziehender jüdischer Musikanten verwendet, mauserte sich erst im Lauf der Jahrzehnte zur wertfreien musikalischen Stilbezeichnung. Mit dem großen Zuwanderungsstrom, der New York in den zwanziger Jahren zur größten jüdischen Stadt der Welt werden ließ, etablierte sich auch die Nachfrage nach Klezmermusik, die an traditionellen jüdischen Festivitäten - vor allem Hochzeiten - nicht wegzudenken ist. Das Musizieren wurde zu einem einträglichen Business, das wie vielen anderen auch den Epstein Brothers den Lebensunterhalt sicherte.

Das Interesse an dieser jiddischen Musiksollte Ende der siebziger Jahre von einer ganz anderen Ecke her neu aufflammen: Eine junge, musikbegeisterte und vorwiegend nichtjüdische Generation - gerade auch in Europa — entdeckte Klezmer für sich und begann für die schrägen, lüpfigen, wehmütig-sentimentalen Melodien zu schwärmen. Auf der Suche nach ihren letzten originalen Vertretern stieß man dabei auf die drei (ursprünglich vier) Epstein Brothers, denen Stefan Schwietert in seinem Film die Ehre erweist.

Das filmische Dokument umfaßt nicht nur das Porträt der vielgefragten dreiköpfigen Band »im Ruhestand«, sondern auch ein Jahrhundert Musik- und Familiengeschichte. Der 84jährige Familienälteste Max und seine Klarinette bilden das Herzstück des Kleinorchesters. Von Kindsbeinen an spielte er auf der Bühne und kam im Lauf der Zeit mit all den legendären Figuren der Klezmermusik zusammen. In einer kurzweiligen Montage werden heutige Konzertauftritte und Festanlässe mit den Erzählungen und Anekdoten von früher zusammengeschnitten. Der Abstecher ins polnische Ursprungsdorf anläßlich eines ihrer Konzerte in Berlin illustriert in anrührender Weise die Welten und Zeiten umspannende Geschichte der Epsteins: Auf der Suche nach dem ehemaligen Familienhaus wird mit den sie begleitenden alten Männern aus dem Dorf jiddisch parliert. Und wenn Max ein Lied spielt, summen diese mit und kramen Textbrocken aus der Erinnerung.

Es bleibt aber nicht bei dieser historischen Dimension. Die Epsteins verbringen ihren Lebensabend unter der Sonne Floridas - und mit ihnen eine große jüdische Gemeinde, deren Mitglieder sich nach und nach aus den Großstädten dorthin zurückgezogen haben. Und hier nun erweist der Film der anderen, sehr amerikanischen Seite der ansonsten noch stark in der jüdischen Kultur verankerten Identität der Epstein Brothers die Reverenz: Die mit Kitsch und Sprinkleranlagen, blitzenden Limousinen und Straßenstaubgebläsen auf Hochglanz polierte Seniorenresidenz ist ihre neue Heimat. Das Nebeneinander von american way of life und traditioneller Einwandererkultur ist unproblematisch. Wenn es um ihre Auftritte geht, verknüpfen sich Business und Entertainment reibungslos mit den traditionellen, nach wie vor sehr ausgelassenen Festanlässen in der jüdischen Gemeinde.

In Schwarzweiß und starken Hell-Dunkel-Kontrasten gedreht, erhält der Film eine zurückhaltende, fast historisierende Ästhetik. Die Kamera umwirbt die Würde und Originalität der Figuren, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Der Witz und die Herzlichkeit der Epsteins nehmen für sich ein und transportieren ganz unprätentiös und wie nebenher die Faszination für die Musik sowie das Lebensgefühl und die Geschichte, die sie entstehen ließen.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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