Frauen haben eine eigene Geschichte. Gerade auch in der Schweiz, die ihnen bis in die siebziger Jahre die bürgerlichen Rechte vorenthielt und sie damit zu Objekten der Männerpolitik degradierte, waren einzelne Frauen schon lange politisch aktiv. Der Film Eine andere Geschichte räumt dem „anderen Geschlecht“ den Subjektstatus ein, auf formaler wie inhaltlicher Ebene. Die Frauen erinnern sich: an den ersten mutigen Auftritt, die mühselige Knochenarbeit, an Frauensolidarität und Agitation.
Teil 1: 1910-1934. Natürlich lebt heute keine Frau mehr, die schon in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg politisch aktiv gewesen ist. Tula Roy muß deswegen ihr Konzept, Geschichte durch die Erinnerung erzählender Frauen aufleben zu lassen, gleich zu Anfang durchbrechen: Marie Walter-Hüni, von 19081924 die zweite Arbeiterinnensekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, wird durch ihre Enkelin Monica Blöcker-Walter anhand von liebevoll ausgebreiteten Arbeits- requisiten vorgestellt. Farbig und faszinierend erzählen die Schwestern Fanny Egli-Gäumann und Anny Krebs-Gäumann von ihren Eindrücken in den Jugendorganisationen „Freischar“ und „Rote Falken“. Fotos und Filmdokumente aus der Zeit stützen und illustrieren ihre Erinnerungen. Aber bereits für die nächsten zwei Themen, Frauenstimmrechtsforderung (Petition 1929) und Saffa 1928, muß Tula Roy sich wieder mit Information aus zweiter Hand begnügen: Simone Chapuis verfügt über Bild- und Textmaterial aus der Zeit und berichtet auf zugleich sachliche wie amüsante Weise. Die eindrücklichste Frau dieses Teils ist sicher die kürzlich verstorbene „Grande Dame“ der Kommunistischen Partei, Gertrude Düby-Blom. Ihre faszinierende Persönlichkeit und legendäre Rhetorik sind auch in hohem Alter ungebrochen.
Teil II: 1936-1959. Wie eine Ruferin in der Wüste durchzieht Iris von Roten den Mittelteil der Trilogie. Ihre anklagende Stimme liest beißend-verblüffende Kommentare aus ihrem Buch Frauen im Laufgitter. Ihr Leben und ihr Buch stehen sinnbildlich für Frauenanliegen dieser Zeit. Landi-Schweiz, Geistige Landesverteidigung und Plan Wahlen setzten die Frauenrolle fest, welche über Propagandafilme wie Gilberte de Courgenay (1941) den Schweizerinnen ans Herz gelegt werden sollte. Auch in der Nachkriegszeit waren Frauenpolitik und Frauenrechte keine Themen, und dies wird durch die Saffa 1958 mit ihren privilegiertbürgerlichen Exponentinnen eher bestätigt als widerlegt. Das Resultat der ersten eidgenössischen Abstimmung zum Frauenstimmrecht 1959 entsprach der damaligen Wüstenlage der Frauenanliegen. Erfrischend und zukunftsweisend berichtet dazu Heidi Hirrle über den Proteststreik von fünfzig Basler Gymnasiallehrerinnen.
Teil III: 1960-1991. Mit Jacqueline Berenstein-Wavre, Ursula Koch und Yvette Jaggi kommen nun erstmals Frauen zu Wort, die es zu politischen Ämtern und Würden gebracht haben, und - seltsam - obwohl ihre Kleider mediengerecht bunt und leuchtend sind, tönen ihre Sätze grauer, fader und amtlicher als nötig. Der Ratsstubenmief scheint auch Frauenmut zu betäuben; belebende Ausnahme macht hier Christine Goll vom Wiiberrat Zürich. Die Gründung der I-BB im Jahr der ersten Mondlandung markiert einen Paradigmenwechsel durch die weibliche 68er Generation. Frauenanliegen haben ab sofort Priorität. Dem damaligen Forderungskatalog der FBB entspricht die Auswahl der nächsten Filmthemen: repressionsfreie Kindergärten, strafloser Schwangerschaftsabbruch, Revision des Eherechts. Ellen Meyrat-Schlee, Soziologin, drückt aus, was frau bei diesen Dokumenten beklemmt: „Wir sind heute weniger weit als damals.“
Wer die Trilogie in einem Aufwisch ansehen will, braucht Sitzleder. Die Fülle und die Dichte der Informationen überfordern mental sicher auch jene, die der dreistündigen Dauer körperlich gewachsen wären. Daß die verwendeten Sequenzen nur einen kleinen Bruchteil des gefilmten Materials ausmachen, ist zu vermuten, und einer Entschlackung hätten die meisten Frauenporträts auch nicht bedurft, ln den Erinnerungen und Selbstdarstellungen der Frauen ist persönliche Erfahrung und historische Realität untrennbar verwoben. Der Gegenschnitt mit historischem Filmmaterial zur Welt- und zur Schweizer Geschichte sowie die eröffnenden Monologe von der je nach Zeitabschnitt strickenden, kochenden oder streikenden Schauspielerin Liliane Heimberg erinnern jedoch an aufbereitete Schulfunkkost. Das Chronik-Konzept schließlich zwingt zu einer tendenziellen Lückenlosigkeit, ein Anspruch, der hier weder erfüllbar noch dem Stoff angemessen ist. Warum also in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg zurückgreifen? Weshalb eine thematische und chronologische Vollständigkeit anstreben, wenn wichtige Themen wie zum Beispiel die Lesbenbewegung dann doch unter den 'Fisch fallen? Die Qualität des Films sei damit nicht in Frage gestellt, er demonstriert uns aber einen inhärenten Widerspruch, unter dem jede Oral-History-Forscherin leidet: Persönliche Erinnerungen und historische Pakten lassen sich nicht problemlos kombinieren. Ohne die belehrenden Kommentare, aber mit mehr Mut zum Fragment, wäre dieser Film erst recht ein kostbares historisches Dokument.