PETER SCHNEIDER

ALEXANDRE (JEAN-FRANCOIS AMIGUET)

SELECTION CINEMA

Einen “kurzen Brief zum langen Abschied” hat Jean-François Amiguet gefilmt, die Geschichte des nach dreijähriger Trennung endlich gelingenden endgültigen Abschieds Antoine’s von Ariane. Antoine besucht den ehemaligen gemeinsamen Wohnort und trifft dort auf A(lfred) Bucher, der einen SOS- Schlüsselservice betreibt. Antoine vermutet in Alfred, dem derzeitigen Freund von Ariane, Alexander. Umgekehrt identifiziert auch Alfred Antoine mit Alexander, dem Berggänger, dem “Mann des Schnees”, dem rätselhaften Freund von Ariane, von dem man nichts als den Namen weiss. Auch Ariane ist nur als Name und Erinnerung gegenwärtig, ist sie doch seit mehreren Tagen spurlos verschwunden. Antoine versucht, Alexander und Ariane auf die Spur zu kommen; er durchsteht die Mühsal der unbeantwortet gebliebenen Fragen, bis er schliesslich durch eine Kumpanei und Identifikation mit Arianes Freund Alfred über die quälende Lähmung durch die unabgeschlossene Vergangenheit hinauskommt und in die Zukunft blickt.

Amiguet erzählt Alexandre sehr verhalten in Fragmenten, deren gewollte, etwas lehrstückhafte Bedeutsamkeit den Film belastet. Er lässt seine Figuren nie ganz zum Leben kommen, sondern hält sie am Zügel des Demonstrativen und macht sie so zu Stellvertretern einer theoretischen Existenz. Was entsteht, ist eine ebenmässige Atmosphäre, in der Reflexion und Handlung Hand in Hand gehend die Geschichte vorwärtstragen, und eine leicht hymnische Poesie, die symbolhaft und damit gültig erscheinen lassen will, was auch als Einzelfall und Ereignis hätte gezeigt werden können. Angst und Leidenschaft dringen zum Zuschauer durch leise Verstörtheit der Figuren und durch den bruchstückhaften Charakter der Darstellung in der Montage. Beschwörend und von Sehnsucht und Romantik zerquält, wird dagegen das Unbekannte, die Berge, die rätselhafte, vollkommene Natur, in die sich Ariane mit Alexandre einst abgesetzt hatte, besungen; bis am Schluss dann Antoine durch die Freundschaft mit Alfred den grüblerischen, leidenschaftlichen Blick, der ihm die Sicht auf den Nächsten verstellt, verliert, und frei in die eigene Zukunft blickt. Eine wenig klare Rolle bei seiner Befreiung hat sein Vater gespielt. Der Wohlmeinende, der seinem Sohn Ruhe verschaffen möchte, bleibt graue Eminenz.

Peter Schneider
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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