RENÉ MÜLLER

KAMPF DER KÖNIGINNEN (NICOLAS STEINER)

SELECTION CINEMA

Der junge Schweizer Filmemacher Nicolas Steiner, der mit seinem verspielten Kurzfilm Ich bin’s Helmut (CH 2009) an internationalen Festivals zu Recht für Aufsehen sorgte, hat für seinen ersten Langfilm ein traditionelles Schweizer Sujet gewählt: den Kuhkampf in den Walliser Alpen. Das Finale der Kämpfe in Aproz zieht jährlich im Mai zehntausend Besucher in seinen Bann. Steiner, der an der Filmakademie Baden-Württemberg Regie studiert, ist im Wallis gross geworden und interessiert sich – wie viele junge Leute – eigentlich kaum für folkloristisches Brauchtum. Gleichwohl hat er sich entschieden, einen «Heimatfilm» zu drehen, der «der eindrücklichen Tradition mit dem nötigen Stolz, einer unbändigen Faszination, aber auch mit einem kleinen Augenzwinkern begegnet».

Steiner begleitet verschiedene Protagonisten vor und während des «Kampfs der Königinnen» und zeigt das Spektakel und dessen Vorbereitungen mosaikartig aus verschiedenen Perspektiven: So beobachten wir, wie der sanftmütige Züchter Beat Brantschen und seine Familie die Tiere auf das Finale vorbereiten. In einer berührenden Szene ist Brantschens Töchterchen, das sich selbst kaum auf den Beinen halten kann, im Stall vor den riesigen Tieren zu sehen. Es soll beim Füttern helfen, die präsente Kamera scheint das Kind aber mehr zu beeindrucken als das gewaltige Vieh. Weiter ist Steiner mit der Dorfjugend unterwegs, die auf der Suche nach dem ersten Kuss oder dem ersten Rausch, mit Mopeds auf dem Festgelände aufkreuzt. Zudem erscheint ein jovialer Möchtegernjournalist aus Zürich im französisch sprechenden Teil des Wallis, um «mal etwas anderes zu sehen». Der Schauspieler Andreas Herzog, der schon in Steiners Ich bin’s Helmut mitgewirkt hat, spielt sich hier selbst. Der Städter sticht aus dem Figurenensemble heraus und wirkt durch seine penetrante Art nicht nur beim ländlichen Anlass, sondern auch im Film auf Dauer etwas fehl am Platz.

Kampf der Königinnen kommt gänzlich ohne erklärende Kommentare aus und verzichtet auf Fakten und Hintergründe. In stilisierten Schwarz-weiss-Aufnahmen präsentiert der Film sorgfältig ausgewählte Eindrücke, die sich zu einem zeitlich entrückt wirkenden Stimmungsbild zusammenfügen. Beim grosse Finale wird die Stilisierung auf die Spitze getrieben: In extremer Zeitlupe scharren Hufe, prallen Köpfe aufeinander und verhaken sich Hörner – begleitet vom dramatischen Jodel-Blues der Sängerin Erika Stucky. Steiner kontrastiert die animalische Rohheit und die folkloristische Behäbigkeit mit kühler Ästhetik und moderner Musik: Eine Hommage, die Distanz hält, und gerade dadurch einen bestechenden Zugang zum traditionellen Thema findet.

René Müller
*1977, Studium der Filmwissenschaft, Publizistik und Neueren Deutschen Literatur in Zürich und Paris. Er ist beim Migros Museum für Gegenwartskunst für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. Von 2007 bis 2012 Redaktionsmitglied von CINEMA.
(Stand: 2014)
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