VERONIKA GROB

GROUNDING (MICHAEL STEINER, TOBIAS FUETER)

SELECTION CINEMA

2001 erlebte die Schweiz einen schwarzen Herbst: Nach der globalen Katastrophe am 11. September folgte zwei Wochen später mit dem Amoklauf im Zuger Kantonsparlament ein weiterer Schlag, der den Glauben an eine sichere Schweiz erschütterte. Die am 2. Oktober gestrandeten Swissair-Flugzeuge waren darüber hinaus das Sinnbild einer Schweiz am Boden. Denn natürlich war das Grounding mehr als ein bloss wirtschaftliches Fiasko: Mit der Swissair wurde auch ein Stück Schweizer Mythos begraben.

Einmalig in der Schweizer Filmgeschichte ist es, dass sich der Produzent PC Fueter mit den jungen Drehbuchautoren Jürg Brändle und Michael Sauter sowie dem Regisseur Michael Steiner nur kurze Zeit nach dem historischen Ereignis an die filmische Aufarbeitung dieses nationalen Traumas machte – Fueter möchte den Spielfilm Grounding denn auch als Beitrag zur Trauerarbeit verstanden wissen. Mutig war dieses Unternehmen auch deshalb, weil man zu jenem Zeitpunkt von den Beteiligten durchaus noch Klagen befürchten musste – auch wenn einem Spielfilm eher zugestanden wird, dass er komplexe Sachverhalte dramatisiert. So wird Gilles Tschudi als taktierender Ospel zum grinsenden Mephistopheles hochstilisiert, während mit Hanspeter Müller- Drossaart aus dem treuherzigen Corti ein tragischer Held wird.

Die Filmemacher entschieden sich im Vorfeld für eine gewisse Geheimniskrämerei, was der Produktion marketingtechnisch durchaus zugute kam: Nie löste ein Schweizer Film schon im Vorfeld so viel Spekulationen und ein solch grosses Medienecho aus.

Grounding fokussiert auf die Zeit kurz vor der Bankrotterklärung der Schweizer Luftfahrtgesellschaft. Im März setzt der Verwaltungsrat den ehemaligen Nestlé-Finanzchef Mario Corti als Konzernchef ein, der alles unternimmt, um das marode Unternehmen zu retten. Hinter verschlossenen Türen wird taktiert und verhandelt: Corti muss sich gegen den intrigierenden Crossair-Chef Moritz Suter zur Wehr setzen, verhandelt mit den Bankenchefs Ospel, Dosé und Mühlemann und bittet schliesslich den Bundesrat um Hilfe. Alles umsonst. Am 2. Oktober geschieht das Unfassbare: Die Flieger bleiben am Boden. Um neben den Topmanagern Identifikationsfiguren zu schaffen, haben die Filmemacher fiktive Nebenschauplätze mit Figuren gestaltet, die stellvertretend für jene stehen, die vom Konkurs der Swissair existenziell betroffen waren: eine Flugbegleiterin, die in New York strandet, italienische Einwanderer, welche ihr Leben lang bei GateGourmet schufteten und deren Sohn ausgerechnet bei der UBS arbeitet, und ein Mechaniker, der stellvertretend für die ganze Schweiz am Tag des Groundings einen Herzinfarkt erleidet.

Auch wenn mit diesen Nebensträngen zuweilen gar tief in die Emotionskiste gegriffen wird und man sich über das Postulat einer «Basler Verschwörung» streiten kann, so ist aus Steiners Grounding doch ein spannender Dokuthriller geworden, der vor allem auf formaler Ebene restlos überzeugt. Nach dem Vorbild von Steven Soderberghs Traffic (USA/D 2000) werden die verschiedenen Handlungsstränge des episodischen Dramas gekonnt miteinander verknüpft. Grossartig auch der rasante Schnitt von Tobias Fueter und Filip Zumbrunns dynamische Kamera, welche immer wieder überraschende Blickwinkel findet, um sich ganz nah an die konspirativen Treffen der Chefetage heranzuzoomen. Nur vier Monate nach dem fulminanten Erfolg von Mein Name ist Eugen haben Steiner und sein Team mit Grounding einen aufregenden Wirtschaftskrimi voller Herzschmerz vorgelegt, welcher die Schweiz nochmals an jene Unsicherheit erinnert, die sie im Herbst 2001 erschütterte.

Veronika Grob
geh. 1971, hat Literaturwissenschaften studiert und arbeitet als Filmredaktorin bei SF DRS. Mitglied der CINEMA-Redaktion seit 2002.
(Stand: 2018)
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