TILL BROCKMANN

KOYAANISQATSI (GODFREY REGGIO, USA 1982)

MOMENTAUFNAHME

Das Medium Film privilegiert das Individuum, seinen körperlichen und geistigen Aktionismus; allenfalls gibt es noch das Gruppenporträt, die Schicksalsgemeinschaft. Doch die Masse taugt nicht zur Inszenierung. Wenn, dann nur als jubelndes Dekor im Monumentalfilm oder glotzende Menge beim Duell. Oder es sieht aus wie hier bei Reggio: Mit Zeitlupe und Teleobjektiv stampft man das Menschenmaterial, um es mit dem Unwort des 20. Jahrhunderts zu sagen, zeitlich und räumlich zum Einheitsbrei ein, der sämig durch die engen Strassenschluchten fliesst. Paradox: Starke Verlangsamung lässt den Einzelnen erkennen und macht ihn trotzdem anonym, unterstreicht die Bewegung und raubt ihr zugleich Ziel und Sinn. Sie entführt aus der vertrauten Dynamik des Films in die Konservierung der Fotografie. Wie Halbtote aus den Werken George A. Romeros bewegt sich die Masse der Willen- und Namenlosen hier auf dem zivilisationspessimistischen Pfad, den der Regisseur vorgibt. «Crazy life», «life desintegrating» bedeutet das kryptische Titelwort aus der Sprache der HopiIndianer denn auch. Dabei kommen solche Bilder auch bei Reportagen über Sozialversicherung, Asthma oder New York zum Zuge. Massen in Zeitlupe sind beliebig einsetzbar.

Till Brockmann
geb. 1966 in Hannover, Studium der Geschichte, Japanologie und Filmwissenschaft an der Universität Zürich.
(Stand: 2018)
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