VERONIKA GROB

TOUT UN HIVER SANS FEU (GREG ZGLINSKI)

SELECTION CINEMA

Es kam einer kleinen Sensation gleich, als nach 15 Jahren mit Tout un hiver sans feu endlich wieder einmal eine Schweizer Produktion zum Wettbewerb des ehrwürdigen Filmfestivals nach Venedig eingeladen wurde. Und das feinsinnige Drama, das im verschneiten Freiburger Jura spielt, vermochte Publikum, Kritiker wie auch die Jury zu beeindrucken. Zwar reichte es nicht für den Goldenen Löwen, doch Greg Zglinskis Erstlingswerk wurde von CinemAvvenire, der internationalen Jugendjury, als bester Nachwuchsfilm sowie von der katholischen Jury mit dem Signis-Preis als bester Film ausgezeichnet.

Die Bauersleute Jean (Aurélien Recoing) und Laure (Marie Matheron) haben bei einem Scheunenbrand vor einigen Monaten ihre fünfjährige Tochter Marie verloren. Laure kommt mit der Trauer nicht zurecht: Sie entfremdet sich von ihrem Ehemann und beginnt, sich wie ihre kleine Tochter zu benehmen, bis sie schliesslich in einer psychiatrischen Klinik landet – von Weinkrämpfen geschüttelt. Jean mag im Winter nach dieser Katastrophe in seinem Haus kein Feuer mehr anzünden. Und so bleibt der Bauernhof ungeheizt – dies ausgerechnet in La Brévine, dem kältesten Ort der Schweiz. Neben dem Schmerz durch den Verlust seiner Tochter und den Sorgen um die angeschlagene Ehefrau steht Jean auch vor den Scherben seiner finanziellen Existenz: Der Brand hat einen Berg von Schulden verursacht. Während Laure in der Klinik betreut wird, nimmt er Arbeit in einem Stahlwerk an, wo er die beiden Kosovo-Flüchtlinge Kastriot und Labinota (Gabriela Muskala) kennen lernt. Auch Labinota, die als Kantinenhilfe arbeitet, hat einen schweren Schicksalsschlag erlitten: Ihr Mann ist im Krieg verschollen. Doch die junge Frau ist eine Kämpferin, die sich im Gegensatz zu Jean ein Stück Lebensfreude bewahrt hat. Mit Hilfe dieser beiden neuen Freunde und der unterstützenden Gemeinschaft der Kosovo-Flüchtlinge lernt auch Jean wieder zu leben.

Auch wenn in Tout un hiver sans feu europäisches Geld steckt, die meisten Teammitglieder aus Polen stammen und der Regisseur heute in Warschau lebt, fühlt sich das Werk – gerade durch sein Setting – doch wie ein Schweizer Film an. Der Pole Greg Zglinski ist im Aargau aufgewachsen, hat aber seine Filmausbildung in Lodz, unter anderem bei Krzysztof Kieslowski, absolviert. Die strenge Ausbildung, für die Lodz bekannt ist, sieht man Zglienskis Debüt an, das von hohem handwerklichen Können zeugt. Die Leere der Trauer und der seelische Winter, in dem die Hauptfigur gefangen ist, spiegelt sich symbolisch in langen Fahrten durch die kalte, neblige und verschneite Landschaft des Juras, die dabei nie idyllisch wirkt. Jeans existenzielle Verzweiflung dagegen zeigt sich in den lodernden Flammen des Stahlwerks, in dem er arbeitet. Zglinski hat das heftige Drama um Schuld, Trauer und Depression sehr subtil inszeniert: In kargen Dialogen und kleinen Gesten tun sich die seelischen Abgründe auf. Mit Tout un hiver sans feu wurde in Venedig ein schweizerisches Beziehungsdrama gezeigt, das berührt.

Veronika Grob
geh. 1971, hat Literaturwissenschaften studiert und arbeitet als Filmredaktorin bei SF DRS. Mitglied der CINEMA-Redaktion seit 2002.
(Stand: 2018)
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