ANDREA REITER

LE SALAIRE DE L'ARTISTE (JACQUELINE VEUVE, LAURENT VEUVE)

SELECTION CINEMA

Elf Jahre dauerten die Dreharbeiten zu Le salaire de l'artiste, einer breit angelegten Doku­mentation des Künstlers Laurent Veuve. Jacqueline Veuve begleitet ihren Sohn, der als Künstler überraschend früh nationales und internationales Ansehen errang. Es zog ihn nach New York, wo er sich Anregungen und Impulse für sein Schaffen erhoffte. Doch nach einer anfänglich euphorischen Phase kam die ziehe Sorgen und persönliche Versagensängste, von denen er sich nur langsam wieder zu be­freien vermochte.

Man sicht vielseitige Ausschnitte aus dem Leben des Künstlers und kann die Schaffens­prozesse in seinen verschiedenen Ateliers mit­verfolgen. Sein künstlerisches Suchen gilt den Einsamen in der Masse, zu denen sich Laurent selbst zählt: Uber sie wird auch im Film aus­führlich gesprochen.

Die aktuellen Bilder sind mit Filmmaterial aus Laurents Kindheit und Jugend, mit Fotos und Kunstwerken Laurents sowie mit doku­mentarischen Filmaufnahmen von früher moniert. Mit sensibler Bildführung schafft Jacque­line Veuve einen schönen Einblick in das Lebenswerk ihres Sohnes, zu dem auch der Zerstörungsprozess gehört. Durch die Jahre wird deutlich, wie stark das Leben mit seinen schönen Momenten, den unerwarteten Erfol­gen und den Schattenseiten des Alltags die Ent­wicklung des Films beeinflusste, gerade auch weil es sich um ein Projekt zweier sich sehr nahe stehender Menschen handelte.

Gegen Ende des Films wird ein Wandel in der Erzählweise erkennbar: Eine traumtänze­risch bewegte Kamera und ein schnellerer Rhythmus der Bilder sind Ausdruck dafür. Nachdem Laurent eine gewisse Ruhe und Selbstvertrauen wiedererlangt hatte, begann er aktiv in den Dokumentationsprozess seiner Mutter einzugreifen. Er übernahm die Regie, um seinen wachsenden kreativen Elan eigen­händig bildlich festzuhalten und anschliessend seine Mutter im Gespräch vor den neu entstan­denen Werken mit sich selbst und dem Innen­leben ihres Sohnes zu konfrontieren.

Der Dokumentarfilm ist mit Voice-over-Kommentaren unterlegt, die aus Gesprächen zwischen Jacqueline und Laurent stammen und denen das Moment des Ennnerns an die ver­gangenen Lebensphasen eingeschrieben ist. So handelt es sich bei den Äusserungen nie um eine einfache Beschreibung des Visuellen, son­dern um eine an die Bilder anknüpfende reich­haltige Informationsvermittlung. Was aber im Hintergrund bleibt, ist eine Konfrontation des Künstlers mit seinem Leben und seiner Erinne­rung und eine dadurch angeregte Auseinander­setzung mit sich selbst. Der Zuschauer wird nicht in die reflexiven Prozesse miteinbezogen, und er erfährt nur wenig über die Hintergründe und die Gedanken des Künstlers. Hier wird eine zurückhaltende Technik des Dokumentierens ersichtlich, die sich im gesamten doku­mentarischen Schaffen Jacqueline Veuves wie­derfindet. Denn das Vertrauen der Menschen, die sie dokumentiert, nicht zu brüskieren, ist für ihr Schaffen von überragender Wichtigkeit.

Andrea Reiter
geb. 1973, Studium der Germanistik, Filmwissenschaft und Philosophie.
(Stand: 2018)
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