DORIS SENN

TRÜMPI (IWAN SCHUMACHER)

SELECTION CINEMA

Ein kleines metallenes Rund, das sich auf zwei Schenkel hin öffnet, in der Mitte ein dünnes, vibrierendes Plättchen: Dieses unscheinbare, kaum handgrosse Instrument - Maultrommel und auf gut Schweizerisch Trümpi genannt - bringt geradezu sphärische Klänge hervor. Es wird zwischen die Lippen geklemmt und mit den Fingern in Schwingung versetzt, wobei der Mund als Resonanzraum dient. Es ist Ton und Rhythmus, Melodie und Perkussion in einem.

Anton Bruhin stammt aus Schwyz, ist freischaffender Künstler und ein Meister im Maultrommelspiel. Ihm und dem weltumspan­nenden Sound des bei uns seit dem Mittelalter belegten Instruments widmet Iwan Schuma­cher sein impressionistisch angelegtes Film­dokument. «Trümpi travels to Stoos, Switzer­land, Sakha-Yakutia, Siberia, Tokyo, Japan», heisst es im Vorspann prosaisch - als einziger «Kommentar» im ganzen Film. Wir sehen Bru­hin, wie er in seiner Werkstatt mit Hammer, Schraubstock und an der Drehbank hantiert und unter sprühenden Funken ein Trümpi fertig stellt. Im Zug gehts Richtung Inner­schweiz zu einer lüpfigen «Stubete» auf dem Stoos. Unter die Bilder der begeisterten Gäste im schmucken Bergrestaurant mischen sich die spannungsvollen Gesichter von Menschen mit mongolischen Zügen: Aufnahmen aus Sibirien, wo man das Instrument ebenfalls kennt und wo es zurzeit ein richtiggehendes Revival erfährt.

Wir fliegen mit Bruhin übers Wolkenmeer und über Flussmäander ins nordostsibirische Gebirgsland. Wohnsilos überwachsen die jaku­tische Vorstadt, ein Überlandbus schlingert auf der löchrigen Naturstrasse durch die karge Landschaft, vorbei an trutzigen Holzhäusern. Bruhin ist kein Unbekannter und wird überall freundschaftlich aufgenommen. Man versam­melt sich im Gemeindehaus, um seinen Küns­ten zuzuhören - mit einer kleinen Apparatur kann er bis zu sechs Trümpi gleichzeitig spie­len. Im Freien führen dann die einheimischen Frauen ihr Können vor: Den Sologesang be­gleiten sie mit einer ganzen Schar von Maultrommlerinnen. Dazwischen posieren viel­köpfige Familien im Sonntagsputz vor ihrem Heim, die Frauen in ihren farbenprächtigen Trachten vor der ärmlichen Dorfkulisse.

Schumacher dokumentiert die Reise in ebenso unspektakulären wie eindrücklichen Bildern. Trümpi zelebriert nicht Folklorismus, sondern gibt Einblicke ins Alltagsleben, zeigt unscheinbare Stillleben und aufschlussreiche Reibungsflächen in der jeweiligen Kultur: Noch steht in Jakutsk die vorwärtsweisende Leninstatue; doch schon ist die Benetton­werbung in sibirische Breiten gelangt, und Computer und Fernsehmonitore stehen in selt­samem Widerspruch zum kargen Innern der Behausungen. In einer subtilen Kontrastmontage stellt der Filmemacher die Bilder neben­einander, legt er Schweizer Ländler und Bilder von der sibirischen Steppe übereinander, schafft Zusammenhänge und ironische Assoziationen.

So gewinnt Schumacher auch Japan neue Ansichten ab und zeigt Tokio in einem unge­wöhnlichen und märchenhaften Schneetreiben. Wie zufällig bleibt die Kamera an ihren Sujets hängen: an den hölzernen Zubern im Wasser­bad, an der roten Blüte auf dem kleinen Tisch­chen, am lauthals lachenden Japaner am Tele­fon. Bruhin nimmt hier an einem Musiktheater mit Koryphäen der japanischen Musikavant­garde teil. Wenn für die Kommunikation sonst die Übersetzerin bemüht werden muss, zeigt sich die Musik als Völker verbindendes Ver­ständigungsmittel: Die so unterschiedlichen Kulturen haben das kleine Instrument je für ihre eigenen Musiktraditionen und -stile adap­tiert, und Bruhin zeigt sich als virtuoser Ken­ner, der sich vorurteilsfrei zwischen traditionel­ler Volksmusik und Jazz, zwischen Experiment und Avantgarde bewegt. Mit Trümpi bettet Schumacher diese eigenwillige «Space-Musik» in ein humorvolles und lockeres Bild-Ton­Geflecht.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]