DORIS SENN

FLAMMEN IM PARADIES (MARKUS IMHOOF)

SELECTION CINEMA

Klassenunterschiede auf einem Dampfer im indischen Ozean: Juliette (Elodie Bouchez), Tochter eines reichen Schweizer Spinnerei­besitzers, tanzt in der flammendroten Samtrobe mit ihrem frisch Angetrauten. Esther, bloß Zaungast an der Salontür der Ersten Klasse, ist die etwas abgehärmte, fromme junge Frau, die auf der Fahrt zu ihrem zukünftigen Bräutigam ist: Per Los hat sie es auf den Missionar in der indischen Wildnis getroffen. Aus Abenteuer­lust und vor allem Trotz – Juliette glaubt, daß ihr Ehemann sie nur des Geldes wegen gehei­ratet, hat – übernimmt die reiche Fabrikantentochter die Rolle Esthers, als diese sich im letz­ten Moment aus Angst und Panik vor dem Aussteigen drücken will. Beim Zusammen­treffen mit dem Missionar Gustav (Laurent Grévill) fällt die sinnlich schöne Juliette ihm ohnmächtig in die Arme.

Ausgehend von der Biographie seiner Großmutter, will Imhoof diese Liebesge­schichte in Szene gesetzt haben. Im Indien des 19. Jahrhunderts angesiedelt, porträtiert er zum einen die feurigen, wenn auch größtenteils fruchtlosen Bekehrungsversuche des christ­lichen Missionars. Zum andern skizziert er die sich entgegen allen Erwartungen anbahnende Liebe zwischen der eigenwilligen, eigentlich schon modernen jungen Frau und dem vorerst in seinem Glaubenseifer gefangenen Gustav. Sie – ganz Tochter eines liberalen, aufstreben­den Bürgertums – will tatkräftig etwas gegen die Armut tun und kauft zuerst einen Jungen, Apu, dann hundertfünfzig weitere »Heiden« frei, um sie auf der Missionarsstation zu be­schäftigen.

Beide Erzählstränge spitzen sich drama­tisch zu: Als Kristallisationsfigur dient Hosi­anna, die vormalige Geliebte Gustavs. In Eifer­sucht entbrannt und obwohl vordergründig christianisiert, hat sie ihrem alten Glauben nie abgeschworen. Als Gustav sie wiederholt ab­weist und sich auch noch an den heiligen Bäu­men zu schaffen macht, um die neue Kirche just an deren Ort zu bauen, wird sie zur hyste­rischen Anführerin im Ansturm auf die Missio­narsstation, die schließlich in Flammen auf­geht. Sie selbst fällt durch einen Gewehrschuß. Juliette läßt sich vorerst von ihrem Ehemann zurückholen, entscheidet sich dann aber für ihre Liebe zu Gustav, der »nach Indien« gehen und endlich die Kultur kennenlernen will, die er jahrelang bekämpft hat.

Leider fällt der Film recht eigentlich dem zum Opfer, was er ursprünglich anklagen wollte: Da ist einerseits die Ignoranz gegen­über einer fremden Kultur. Indien scheint in Flammen im Paradies nur mehr Staffage, die Einheimischen agieren als Komparsen, die in einer für uns unverständlichen Sprache spre­chen. Holzschnittartig wird der missionarische Eifer umgesetzt: die Predigten mit der Lan­terna magica, welche die Inder jedoch wenigbeeindruckt, im Gegenteil ihren Zorn herauf­beschwört, legt sich der Missionar doch mit ihren Göttern an. Abgerufen werden stereo­type Bilder, wie man sich missionarisches Tun und Kolonialismus in seinen negativsten Aus­formungen schon immer vorgestellt hat.

Andererseits überzeugen auch die drama­tischen Irrungen und Wirrungen wenig, will der Funken der Liebesbeziehung nicht recht überspringen. Die Sinnlichkeit der weiblichen Hauptfigur, die Symbolsprache von Farben und Kleidern wird lehrbuchhaft herausgeho­ben und leitmotivisch verarbeitet. Vermißt wird eine glaubwürdige Einbettung der Figuren und ihres Verhaltens in die historische Zeit. Juliettes Unbefangenheit und körperliche Präsenz oder etwa die leidenschaftliche Liebesnacht schei­nen mehr der heutigen Zeit anzugehören. Das intime Drama und die sozialkritische Darstel­lung von missionarischem Tun im Indien des vergangenen Jahrhunderts klaffen unvereinbar auseinander.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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