RUTH ROTHENBERGER

LA TERZA LUNA (MATTEO BELLINELLI)

SELECTION CINEMA

Der Architekt Luca Fabiani (Roberto Citran) soll im ehemaligen jüdischen Ghetto Venedigs einen Palazzo restaurieren. Unerwartet trifft er auf den Schriftsteller Elio Sorani (Omero An­tonutti), der seit Jahren dort wohnt und sich weigert auszuziehen. Im Haus verkehrt auch die Malerin Giulia (Alessandra Acciai), die mit dem Kunsthändler Sacha (Alexandre Medve­dev) anscheinend unglücklich liiert ist.

Der Schriftsteller gibt Luca sein neuestes Buchmanuskript – eine Dreiecksgeschichte mit autobiographischen Zügen: Der jüdische Kom­ponist Davide und seine Liebe, die Sängerin Sara, werden durch die Umstände des Zweiten Weltkriegs getrennt und finden sich in einer Inszenierung der Oper »Shylock« wieder. Die Hauptrolle auf der Bühne und in Saras Leben spielt jetzt aber ihr Ehemann Jevgeni.

Während der Architekt das Manuskript liest, inszeniert der Film die (Buch-)Geschichte. Citran (Davide), Acciai (Sara) und Medvedev (Jevgeni) versehen Doppelrollen. Die Identität des Schauplatzes und der SchauspielerInnen bietet Raum für ein interessantes Verwirrspiel, und die Parallelität der Handlung gibt Anlaß zu Spekulationen über die weitere Entwicklung der Haupterzählung. Damals wie heute steht die Frauenfigur Sara/Giulia zwischen zwei Män­nern. Doch während in der Buchgeschichte die Frau ein Opfer der unglücklichen Verstrickung wird, kommt es in der filmischen Gegenwarts-Geschichte zu einem glücklichen Ausgang.

Der Plot ist als Kaskade von Rätseln auf­gebaut, in dem das Wissen über die Motive der Figuren erst nach und nach preisgegeben wird. Mit Architektur, Malerei, Literatur und Musik sind allerdings allzu viele Künste im Spiel. Elios literarisches Manuskript und die nach hoch­dotierten Originalen angefertigten Bilder­kopien Giulias ordnen sich um den Themen­kreis Lüge/Täuschung/Fiktion. Lucas Beruf ist dabei kaum mehr als ein Vorwand, der ihn zwar als Hauptfigur, aber nicht als Handelnden nach Venedig und ins Umfeld der anderen Per­sonen bringt. Die Fäden zieht der Schriftsteller im Hintergrund. Die Geschichte wirkt über große Strecken konstruiert, und die blutleeren Personen können dem Stück auch nicht mehr Leben einhauchen.

Ruth Rothenberger
geb. 1959, lic. phil. I, Linguistin, Aufbau und Mitarbeit bei »Frauen hinter der Kamera« (KinoK, St. Gallen), schreibt über Film und Literatur, lebt in St. Gallen.
(Stand: 2019)
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